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Erotik im alten Rom
Einleitung
Roms Geschichte beginnt mit einer Verführung; denn die Sage erzählt, dass die Vestalin Rhea Silvia mit Mars ein Verhältnis hatte (nach anderer Version von ihm vergewaltigt wurde) und den Zwillingen Romulus und Remus das Leben schenkte. Als ein Hirte die auf Befehl des Großvaters ausgesetzten Knaben fand, wurde dessen Weib Acca Larentia zu ihrer Ziehmutter. Die Sage machte diese Frau zugleich zur Dirne und Geliebten des Hercules, und die Gleichbedeutung des Wortes lupa = Wölfin, Dirne erhöht das mythologisch-erotische Durcheinander der Sagenzeit.
Die Verbindung von Wölfen und Fruchtbarkeit spiegelt sich auch deutlich in den Lupercalien, dem Fest des Wolfsgottes Faunus , das in Rom alljährlich am 15. Februar gefeiert wurde. Faunus, der oft in der Form einer Vielzahl von Faunen erscheint, galt als besonders lüstern und wurde so zum beliebten Motiv erotischer Kunst. Seine Priester (luperci = Wölfe) liefen bei dem Fest, nur mit einem Bocksfell bekleidet, um den Palatin und schlugen mit Riemen auf die Vorübergehenden. Kinderlose Frauen erhofften sich durch solche Schläge Fruchtbarkeit. Mehr noch als diese Lupercalien boten die Floralien die Möglichkeit öffentlicher Ausschweifungen unter dem Deckmantel eines Kultes. Bei diesen alljährlich Anfang Mai zu Ehren der Göttin Flora abgehaltenen Feiern fanden ausgelassene Zirkusspiele mit Aufführungen von "Mimen" statt, bei denen die Dirnen nackt auftraten und das begeisterte Publikum durch obszöne Tänze anregten. Als bei einem dieser Feste Cato als Zensor anwesend war, wagten die Dirnen keinen Auftritt. Cato beugte sich der Tradition, hob den Arm mit der Toga vor die Augen und verließ den Zirkus.
Mit ein paar Sagen und solchen mythisch verwurzelten Kulten war aber die Erotik der Frühzeit weitgehend erschöpft. Die römische Republik war sittenstreng und prüde zugleich. Noch 184 v. Chr. wurde ein gewisser Manlius aus dem Senat ausgeschlossen, weil er seine Frau vor den Augen der Tochter geküsst hatte. Ehebruch wurde streng bestraft - besonders an den Frauen. Eine in flagranti ertappte Frau konnte noch bis ins 5. Jahrhundert sogleich vom Pöbel in ein kleines Häuschen am Stadtrand geschleppt und dort von den Anwesenden der Reihe nach missbraucht werden. Allerdings kannte die vielgerühmte alt-römische Moral genügend Ausweichmöglichkeiten. So waren Ehescheidungen häufig und nahmen seit dem Ende der Republik immer mehr zu. Caesar und Antonius waren vier-, Sulla und Pompeius fünfmal verheiratet. Sechs bis sieben Ehen bei Männern wie bei Frauen scheinen durchaus möglich gewesen zu sein, sonst hätten Schriftsteller nicht darauf Bezug genommen. Schließlich gab es noch die Sklavinnen für den Herren, die Sklaven für die Frau des Hauses. Martial zählt die sieben Kinder einer gewissen Marulla auf, deren jedes dem jeweiligen Vater ähnle: dem maurischen Koch, dem plattnasigen Athleten, dem triefäugigen Bäcker, dem zarten Liebling des Herrn, dem spitzohrigen Kretin, dem schwarzen Flötenbläser und dem rothaarigen Hofverwalter.
Prostitution
Den Ärmeren blieben allerdings nur die Bordelle, die Lupanare, die schon in der Republik in den Städten zugelassen und wohl aus einer Art Tempelprostitution hervorgegangen waren. In Rom gab es 46 offiziell bekannte Lupanare mit angeblich 35 000 Dirnen, doch scheint diese Zahl etwas hoch gegriffen; denn bei maximal 800 000 Einwohnern hätte jeder 23. Mensch in Rom eine Dirne sein müssen! Zu den offiziellen Bordellen kamen noch die privaten, die billigen Absteigen und Kneipen - auf dem Lande vor allem an den großen Straßen fast jede Wirtschaft, wo die Copae warteten, Mädchen, die oft schon mit einem Glas Wein zu gewinnen waren. In den Städten existierten Massage- und Kosmetiksalons mit einschlägigen Aufgaben, selbst die Bäder boten gelegentlich entsprechende Möglichkeiten, ganz abgesehen davon, dass allein in der Hauptstadt ein Heer von Kupplern in den engen Gassen auf Kunden lauerte und, wie uns etwa Petronius berichtet, mit allen nur erdenklichen Kniffen anlockte.
Die Prostituierten wurden sorgfältig registriert und fielen nicht unter die strengen Sittengesetze, mit denen Augustus dem Verfall der allgemeinen Moral steuern wollte. Es gab gerade aus den ärmeren Schichten genügend Frauen, die sich freiwillig registrieren ließen, damit sie straflos Umgang mit Männern haben konnten. Umgekehrt schied eine Dirne, die heiratete, aus dem Register und war damit dem Gesetz unterworfen.
Die echten Dirnen wurden von den Kennern in verschiedene Gruppen eingeteilt: In die vornehmste gehörten die Famosae, die "Berüchtigten", Frauen aus besseren Kreisen, die in den Bordellen persönliches Vergnügen und Nebenverdienst suchten; dann die Delicatae, die schönsten jungen Dirnen, die entsprechend teuer waren. Dieser Gruppe gehörte ursprünglich auch die Mutter der Kaiser Titus und Domitian an. Die Doriden übten ihr Gewerbe grundsätzlich nackt aus und stellten sich in dieser Arbeitskleidung auch zur Schau. Die Meretrices lebten tagsüber wie anständige Frauen und arbeiteten korrekt erst ab der Vesperstunde (merenda). Die Aufzählung ließe sich noch bis zu den merkwürdigsten Abarten fortsetzen, wie etwa den Bustuariae, die ihr Gewerbe - wohl in erster Linie mit den Totengräbern - auf den Friedhöfen ausübten. Die Gefahr, sich an einer venerischen Krankheit zu infizieren, machte vielleicht die von den Griechen übernommene Knabenliebe populär.
Das Sexualleben hatte sich während der ersten Jahrhunderte der Republik in den Grenzen der Überlieferung gehalten. Die Eroberung der Mittelmeerländer führte mit dem Eindringen fremder Bräuche auch zu einem Wandel in der Sexualauffassung. Augustus suchte mit seiner strengen Sittengesetzgebung auch diesen privaten Bereich der Römer zu kontrollieren, aber schon seit dem l. Jahrhundert herrschte hier eine Libertinage, wie sie in übertriebener Form durch Literatur, Malerei und der Bildhauerei überliefert wird.
Erotische Literatur
Vielfältige Möglichkeiten auf das Sexualleben einzugehen, boten die Komödien eines Plautus; während sich die Dichter aber mit Andeutungen begnügten, waren die Atellanae, derbe Volkspossen, schon wesentlich offener, und diese Offenheit steigerte sich noch in den Mimen, die mit Vorliebe komische Ehebruchsgeschichten behandelten. Da hier die Schauspieler ohne Masken auftraten und die Frauenrollen von Frauen, verschiedentlich sogar von Dirnen gespielt wurden, eskalierte die Darstellung mitunter, besonders bei den oben erwähnten Floralien, zur triebgesteuerten Improvisation. Noch reizvoller agierten Pantomimen, bei denen Gestik und Tanz, später auch Lieder, allein der sexuellen Anmache dienten.
Die große Zeit der erotischen Literatur begann aber erst unter Augustus. Catull und Properz verfassten beide glühende Liebesgedichte, letzterer auf die berühmte, begehrte und von ihren Verehrern hoch bezahlte Dirne Cynthia, deren Schicksal römischen Freudenmädchen als Warnung dienen konnte: Sie wies eine hoch gestellte Persönlichkeit ab und wurde vergiftet. Einen ersten Höhepunkt erreichte die erotische Dichtung mit Ovids "Ars amandi". Diese "Liebeskunst" bietet einen ebenso eleganten wie reizvollen Leitfaden zum Genuss der Liebe, nicht der ehelichen, vielmehr der mit Freundinnen oder Hetären. Was uns heute mehr als ein harmloses Spiel erscheint, das nur am Ende des zweiten und vor allem dritten Buches deutlicher wird, wo Ovid auf die Liebespraxis eingeht, brachte dem Dichter erhebliche Schwierigkeiten. Man muss die "Liebeskunst" vor dem Hintergrund der neuen strengen augusteischen Maßnahmen zum Schutz der Sittlichkeit sehen, über die Ovid hier mit eleganten Sticheleien spöttelte. So wurde das in Rom höchstbeliebte Werk mit eine der Ursachen für die Verbannung des Dichters durch den Kaiser. Der seelisch völlig gebrochene Ovid starb fern von Rom.
Seine Verse wurden schon wenige Jahrzehnte später zwar nicht an Qualität, zumindest aber an Deutlichkeit übertroffen von den Epigrammen Martials. Ob wir dabei seiner Beteuerung: "Lasciva est nobis pagina, vita proba est" - "schlüpfrig ist, was ich schreibe, doch mein Leben ist sauber" - Glauben schenken dürfen, bleibt zweifelhaft. Offenbar bevorzugte er junge Sexualpartner - ältere Prostituierte diffamiert und denunziert er. Er vermied es, hoch gestellte Persönlichkeiten anzugreifen, hielt sich aus Skandalen, und verarbeitete seine außerordentliche Sach- und Personenkenntnis in seinen Epigrammen. Eine ähnliche Intimkenntnis zeigt auch Juvenal in seinen Satiren. Wo der Spötter Martial unterhalten wollte, geißelte er, so dass die Kritik ihm, vorwarf, er eifere und beweise zu wenig ausgleichenden Humor. Doch bietet gerade seine sechste Satire ein ungemein farbiges Bild römischen Sexuallebens von den einfachsten Leuten bis zur Kaiserin Messalina, deren Skandale beliebtes Tagesgespräch im Rom des Kaisers Claudius waren.
Die beiden Hauptwerke erotischer Novellistik sind das "Satyricon" des Petronius und der "Goldene Esel" des Apuleius. Petronius, von dessen Werk leider nur zwei der etwa zwanzig Bücher erhalten sind, und selbst diese verstümmelt, erzählt, wie Encolpius vom Zorn des lüsternen Gottes Priapus verfolgt, die merkwürdigsten, vorwiegend erotischen Abenteuer erlebt. Im "Goldenen Esel" wird der Held des Romans durch eine Zaubersalbe in einen Esel verwandelt. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser merkwürdigen Gestalt wird er in verschiedene Liebeserlebnisse verwickelt, was dem Autor Gelegenheit gibt, eine sodomitische Szene breit auszumalen. Eine Sonderstellung nehmen die "Carmina Priapea" ein, kleine erotisch anzügliche Verse, die dem Gott Priapus in den Mund gelegt wurden, der als Beschützer der Gärten galt. Entsprechend werden in diesen Texten den Gartendieben obszöne Strafen angedroht oder Bosheiten auf die Weiber ausgegossen. Die uns erhaltenen Verse, mit denen sich auch Goethe eingehend beschäftigte, sind wahrscheinlich Überarbeitungen anonymer Gedichtchen durch einen unbekannten Autor.
Messalinas Liebesleben
"Sobald Messalina im Schlaf ihren Ehegemahl wusste,
hat mit dem Lager im Kaiserpalast sie die Matte vertauschet.
Und sie griff frech, die Kaiserin-Hure, des Nachts zur Kapuze,
heimlich schlich sie sich fort, nur von einer der Mägde begleitet.
Da verbarg sie das kohlschwarze Haar in der blonden Perücke,
und sie betrat das schwüle Bordell, das mit Lumpen verhängte,
und ihre Kammer, für sie nur gewahrt.
Da bot sie sich nackend preis mit vergoldeten Brüsten,
Lyciscas Namen missbrauchend,
und sie zeigte den Leib, der dich, edler Britannicus, austrug.
Zärtlich empfing sie die Gäste und ließ sich billig bezahlen.
Dann, als der Kuppler bereits seine Weiber entließ,
ging sie traurig fort und schloss ihre Kammer,
wenn irgend sie konnte, als Letzte.
Aber sie brannte noch dann von der Nessel der brünstigen Scheide,
und, von Männern erschöpft, doch nimmer befriedigt, verschwand sie.
Bös von Schatten im Antlitz entstellt, nach dem qualmenden Lämpchen stinkend,
trug sie den Duft des Bordells zum Polster des Kaisers".
(Juvenal, aus der 6. Satire)
Erotische Kunst
Unsere Kenntnisse römischer erotischer Kunst - bis hin zur Pornografie - beruhen überwiegend auf den Beständen des "Geheimen Kabinetts" im Nationalmuseum Neapel, die ihrerseits wieder zum größten Teil aus den Funden in Pompeji stammen. Wenn schon eine Provinzstadt, mochte sie auch der Venus geweiht sein, über so viel Material verfügte, so lässt das den Schluss zu, dass die Verhältnisse in anderen Städten kaum besser - oder schlechter - gewesen sein dürften. Nur waren Kunstgegenstände dieser Art natürlich leichter der Vernichtung prüde denkender Nachkommen ausgesetzt und blieben daher dementsprechend seltener erhalten.
Erotische Szenen als Wandmalereien waren in den vornehmen Häusern beliebt, die Motive wurden dabei häufig aus der griechischen Mythologie gewählt, die ja genügend Anregungen bot. Dazu gehörten dionysische Szenen, etwa Dionysos und Hermaphroditos bei zärtlicher Begegnung, oder Hermaphroditos und Pan, Satyrn und Mänaden bei intimem Verkehr, Leda mit dem Schwan oder die Begegnung zwischen der Nymphe Galatea und dem einäugigen Riesen Polyphem. Vereinzelt finden sich erotische Szenen ohne solche mythologische Bezüge. Sie sind meist künstlerisch weniger anspruchsvoll; das pornografische Moment steht stärker im Vordergrund, und sie tauchen vorwiegend in den Bordellen auf, gelegentlich aber auch in Schlafgemächern als eine Art Anregung. Letzteres dürfte gar nicht selten gewesen sein, wie ein Vers Ovids verrät: "Wenn es dir Spaß macht, auf tausend Manieren verstehen sie zu lieben: mehr Methoden ersann nie eines Malers Genie. Sie empfinden die Lust, auch wenn sie dazu nicht gereizt sind." In der Plastik begegnen wir verschiedentlich großen Phalli. Solchen Skulpturen haftete nichts Obszönes an; der Phallus galt als Amulett (fascinum = auch Bezeichnung für männliches Glied), das vor dem Bösen Blick beschützte, so dass solche überdimensionale Phalli, vor Häusern aufgestellt, Beschützerfunktionen übernahmen.
Unerschöpflich geradezu erscheint der Formenreichtum der Kleinplastiken in Marmor, Terrakotta und Bronze. Dabei dominieren Einzelfiguren mit meist karrikierenden ithyphallischen Kennzeichen, die durchaus als Gebrauchsgegenstände dienen konnten, wie etwa die in der Casa dell' Efebo gefundenen meisterhaften Bronzefigürchen zweier spindeldürrer Straßenhändler mit riesigen Phalli, die als Salzfassträger auf der Tafel verwendet wurden. Aber auch ithyphallische Moriones oder Zwerge mit erigiertem Glied waren sehr beliebt, manchmal in Verbindung mit so genannten Tintinnabula. Das waren meist bronzene Phalli, an denen kleine Glöckchen hingen. Man begegnete ihnen häufig in Kaufläden, wo sie als Vorzeichen für glückhafte Handelsgeschäfte dienten. Öllämpchen mit graziösen Motiven des Liebesaktes mögen vorwiegend zur diskreten Aufhellung verschwiegener Schlafgemächer verwendet worden sein.
Merkwürdig muten uns heute manche derben erotischen Szenen auf Sarkophagen an, aber noch bis ins 3. nachchristliche Jahrhundert hinein wurden zahlreiche Marmorsarkophage mit Reliefs verziert, die Szenen aus dionysischen Riten zeigen.