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nur so...
"Gewinner & Verlierer"
Der Gewinner ist immer ein Teil der Antwort.
Der Verlierer ist immer Teil des Problems.
Der Gewinner hat immer einen Plan.
Der Verlierer hat immer eine Entschuldigung.
Der Gewinner sagt: "Lass mich das für Dich machen."
Der Verlierer sagt: "Das ist nicht meine Aufgabe."
Der Gewinner sieht für jedes Problem eine Lösung.
Der Verlierer sieht ein Problem in jeder Antwort.
Der Gewinner vergleicht seine Leistungen mit seinen Zielen.
Der Verlierer vergleicht seine Leistungen mit denen anderer Leute.
Der Gewinner sagt: "Es ist schwierig, aber es ist möglich."
Der Verlierer sagt: "Es ist möglich, aber es ist zu schwierig."
(unbekannt)
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"Glück und Unglück"
Ein Bauer lebte mit seinem Sohn in einem abgeschiedenen Dorf. Seine Kräfte ließen nach, und er galt als ein armer Mann und hatte nicht viel zu beißen. Sein Sohn war seine einzige Hilfe Tag und Nacht, und auf ihn konnte er sich verlassen.
Eines Tages ging er in den Wald, um Beeren zu sammeln, und als er zurückkehrte, brachte er ein Wildpferd mit, welches er eingefangen hatte.
"Oh, welch ein Glück", riefen seine Nachbarn aus. Nun kann er das Pferd zähmen und vor den Pflug spannen, Getreide anbauen, und er wird Brot die Fülle haben. Der Bauer aber schüttelte den Kopf: "Ob das ein Glück ist, weiss ich nicht. Die Zeit wird es herausbringen."
Am nächsten Tag sprach der Sohn: "Vater, ich bin stark und kräftig, lass mich das Pferd einreiten, damit es uns zu guten Diensten sein kann." Der Sohn stieg in die Koppel und schwang sich auf das Pferd. Doch dieses bäumte sich auf und warf ihn ab und rannte fort. Der Sohn schrie laut auf. Er hatte sich beim Fall ein Bein gebrochen.
"Oh, welch ein Unglück", riefen seine Nachbarn aus. Nun hat der Bauer sein Pferd verloren, und sein Sohn muss im Hause liegen, bis er wieder gesund ist. Der Bauer aber schüttelte wiederum den Kopf: "Ob das ein Unglück ist, weiss ich nicht. Die Zeit wird es herausbringen."
Am nächsten Tag kamen Soldaten des Grafen ins abgeschiedene Dorf, und der Ausrufer verkündete: "Der Graf führt Krieg gegen den König, und er hat bestimmt, dass alle rüstigen Männer eingezogen werden, um gegen den König mit seiner Übermacht zu Felde zu ziehen..."
"Oh, welch ein Glück", dachte der Bauer, schloss seinen Sohn fest in die Arme, sie lobten Gott und dankten ihm und sie weinten vor Freude die ganze Nacht.
(unbekannt)
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"Jung sein..."
Die Jugend ist nicht ein Lebensabschnitt, sondern eine Geisteshaltung. Sie ist Ausdruck des Willens, der Vorstellungskraft und der Gefühlsintensität. Sie bedeutet Sieg des Mutes über die Mutlosigkeit, Sieg der Abenteuerlust über die Bequemlichkeit.
Alt sein bedeutet nicht, viele Jahre gelebt zu haben, sondern Ideale aufzugeben. Die Jahre zeichnen zwar die Haut, Ideale aufgeben aber zeichnet die Seele. Vorurteile, Befürchtungen, Zweifel und Hoffnungslosigkeit sind Feinde, die einen nach und nach zur Erde niederdrücken und vor dem Tode zu Staub werden lassen.
Jung sein bedeutet staunen und sich begeistern zu können und unersättlich wie ein kleines Kind zu fragen: Und dann? Und es bedeutet, Ereignisse herauszufordern und sich freuen am Spiel des Lebens.
Man ist so jung wie sein Glaube, so alt wie seine Zweifel, so jung wie sein Selbstvertrauen, so jung wie seine Hoffnung, so alt wie seine Niedergeschlagenheit.
Man ist jung solange man aufnahmebereit ist für das Schöne, Gute und Große, empfänglich für Botschaften der Natur, der Mitmenschen, des Unfassbaren. Wenn erst einmal das Herz geätzt ist von Pessimismus, zernagt vom Zynismus, dann habe Gott erbarmen mit unserer Seele, der Seele eines Greises.
(Marc Aurel)
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Die drei Siebe
Zum weisen Sokrates kam einer gelaufen und sagte: "Höre Sokrates, das muß ich Dir erzählen!" -
"Halte ein!"
- unterbrach ihn der Weise, "hast Du das, was Du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt ?"
- "Drei Siebe?", frage der andere voller Verwunderung.
"Ja guter Freund! Laß sehen, ob das, was Du mir sagen willst, durch die drei Siebe hindurchgeht:
Das erste ist die Wahrheit.
Hast Du alles, was Du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist ?
" Nein, ich hörte es erzählen und..."
" So, so! Aber sicher hast Du es im zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was Du mir erzählen willst gut?"
Zögernd sagte der andere: "Nein, im Gegenteil..."
"Hm...", unterbracht ihn der Weise, "so laß uns auch das dritte Sieb noch anwenden. Ist es notwendig, daß Du mir das erzählst?"-
"Notwendig nun gerade nicht..." " Also," sagte lächelnd der Weise, "wenn es weder wahr noch gut noch notwendig ist, so laß es begraben sein und belaste Dich und mich nicht damit. "
(Sokrates)
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Hesse: "Demian"
Auszug aus Hermann Hesse - Demian (geschrieben 1920)
(...)
Ich beginne meine Geschichte mit einem Erlebnis der Zeit, wo ich zehn Jahre alt war und in die Lateinschule unseres Städtchens ging.
(...)
(..) Zwei Welten liefen dort durcheinander, von zwei Polen her kamen Tag und Nacht.
Die eine Welt war das Vaterhaus, aber sie war eigentlich noch enger, sie umfaßte nur meine Eltern. Diese Welt war mir größtenteils wohlbekannt, sie hieß Mutter und Vater, sie hieß Liebe und Strenge, Vorbild und Schule. (..) Zu dieser Welt mußte man sich halten, damit das Leben klar und reinlich, schön und geordnet sei.
Die andere Welt indessen begann schon mitten in unserem eigenen Haus und war völlig anders, roch anders, sprach anders, versprach und forderte anders. In dieser zweiten Welt gab es Dienstmägde und Handwerksburschen, Geistergeschichten und Skandalgerüche, es gab da eine bunte Flut von ungeheuren, lockenden furchtbaren, rätselhaften Dingen, Sachen wie Schlachthaus und Gefängnis, Betrunkene und kneifende Weiber, gebärende Kühe, gestürzte Pferde, Erzählungen von Einbrüchen, Totschlägen, Selbstmorden. (..)
(...)
Je mehr ich nun im meiner neunen Gesellschaft mich fortwährend einsam und anders wußte, desto weniger kam ich doch von ihr los. Ich weiß wirklich nicht mehr, ob das Saufen und Renommieren mir eigentlich jemals Vergnügen gemacht hat, auch gewöhnte ich mich an das Trinken niemals so, daß ich nicht jedesmal peinlich Folgen gespürt hätte. Es war alles wie ein Zwang. Ich tat, was ich tun mußte, weil ich sonst durchaus nicht wußte, was mit mir beginnen. Ich hatte Furcht vor langem Alleinsein, hatte Angst vor den vielen zarten, schamhaften, innigen Anwandlungen, zu denen ich mich stets geneigt fühlte, hatte Angst vor den zarten Liebesgedanken, die mir so oft kamen.
Eines fehlte mir am meisten - ein Freund. Es gab zwei oder drei Mitschüler, die ich sehr gerne sah. Aber sie gehörten zu den Braven, und meine Laster waren niemandem mehr ein Geheimnis. Sie mieden mich. Ich galt bei allen für einen hoffnungslosen Spieler, dem der Boden unter den Füßen wankte. Die Lehrer wussten viel von mir, ich war mehrmals streng bestraft worden, meine schließliche Entlassung aus der Schule war etwas, worauf man wartete. Ich selbst wußte das, ich war auch schon lange kein guter Schüler mehr, sondern drückte und schwindelte mich so durch, mit dem Gefühl, dass das nicht mehr lange daunern könne.
Es gibt viele Wege, auf denen Gott uns einsam machen und zu uns selber führen kann. Diesen Weg ging er damals mit mir. Es war wie ein arger Traum. Über Schmutz und Klebrigkeit, über zynisch durchschwatze Nächte weg sehe ich mich einen gebannten Träumer, ruhelos und gepeinigt kriechen, einen häßlichen und unsauberen Weg.
Es gibt solche Träume, auf denen man, auf dem Weg zur Prinzessin, in Kotlachen in Hintergassen voll Gestank und Unrat steckenbleibt. So ging es mir. Aus diese wenig feine Art war es mir beschieden, einsam zu werden und zwischen mich und meine Kindheit ein verschlossenes Edentor mit erbarmungslos strahlenden Wächtern zubringen. Es was ein Beginn, ein Erwachen des Heimwehs nach mir selber.
(...)
An jenem Frühlingstag im Park begegnete mir eine junge Dame, die mich sehr anzog. Sie war groß und schlank, elegant gekleidet und hatte ein kluges Knabengesicht. Sie gefiel mir sofort, sie gehörte dem Typ an, den ich liebte, und sie begann meine Phantasie zu beschäftigen. Sie war wohl kaum etwas älter als ich, aber viel fertiger, elegant und wohlumrissen, schon fast ganz Dame, aber mit einem Anflug von Übermut und Jungenhaftigkeit im Gesicht, den ich überaus gern hatte.
Es war mir nie geglückt, mich einem Mädchen zu nähern, in das ich verliebt war, und es glückte mir auch bei dieser nicht. Aber der Eindruck war tiefer als alle früheren, und der Einfluß dieser Verliebtheit auf mein Leben war gewaltig.
(...)
Ich habe mit Beatrice nicht ein einziges Wort gesprochen. Dennoch hat sie damals den tiefsten Eindruck auf mich geübt. (..) Von einem Tag auf den anderen blieb ich von den Kneiperein und nächtlichen Streifzügen weg. Ich konnte wieder allein sein, ich las wieder gern, ich ging wieder gern spazieren.
(...)
"Liebe muß nicht bitten", sagte Sie, "auch nicht fordern. Liebe muß die Kraft haben, in sich selbst zur Gewißheit zu kommen. Dann wird sie nicht mehr gezogen, sondern zieht (..)"
(...)
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"Anders"
Anders
- Was ist dieses "Anders",
wann ist jemand "anders" als andere Menschen?
Bin ich "anders"?
Bist Du "anders"?
Wer ist "anders"?
Ist dieses "anders" immer negativ?
Ist dieses "anders" nicht auch oft genug positiv?
Ist es nicht manchmal auch ein Lob, "anders" zu sein als andere?
Ist es nicht etwas Gutes, nicht in die gleichen Schemata wie die anderen reinzupassen, die alle gleich sind, nur, weil man "anders" ist?
Oft wird dieses "anders" aber einfach nur als Schimpfwort benutzt, leider. Da wird jemand beschimpft, weil er "anders" ist, eine andere Hautfarbe hat, eine andere Religion hat, eine andere Meinung als alle anderen hat.
Aber es ist auch schön, von jemandem zu hören: "Ich mag Dich, weil Du anders bist als die anderen."
Jeder Mensch ist "anders", jeder Mensch ist einmalig, und deshalb "anders" als die anderen.
"Anders", ein Wort mit zwei Seiten. Ich bin stolz darauf, "anders" zu sein.
(leider unbekannt)
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Die Zeitung
Ein Tag wie jeder andere. Sie sitzen am Frühstückstisch. Er liest Zeitung. Sie blättert in Reiseprospekten.
"Liebling, hör doch. In Sardinien soll es um die Zeit besonders schön sein."
"Hm."
"Und ein Flug nach Frankreich käme uns im nächsten Monat um 2% billiger."
"Hmpf."
Eine Hand schlängelt sich hinter der Zeitung hervor, greift sich den Kaffee und verschwindet wieder.
"Oder Hawaii. Obwohl, Henriette sagt, es sei zu gefährlich dort."
"Hm Hm."
Die Hand stellt die Tasse wieder ab, schwebt zielsicher zu dem Marmeladenbrot, greift zu und verschwindet mit seiner Beute hinter der Zeitung.
Manchmal weiß sie gar nicht mehr, wie er wirklich aussieht. Immer, wenn sie sein Bild in Gedanken heraufbeschwört, ist da anstatt seines Kopfes eine große engbedruckte Zeitung.
"Hörst du mir eigentlich zu?"
"Ja doch, Schatz"
Wieder wird die Kaffeetasse von der Hand hinter die Zeitung entführt.
Vor ihren Augen taucht ein bekannter Traum auf. Sie stellt sich vor, wie sie die Kaffeekanne nimmt und die braune Brühe gegen die Zeitung schleudert, wie das saubere Weiß-Schwarz sich braun verfärbt und in sich zusammenfällt...
Sie gibt sich einen Ruck und greift nach der Kanne.
"Wenn du nicht sofort die Zeitung weglegst, überschütte ich dich mit Kaffee."
Ihre Stimme überschlägt sich, ihre Hand, mit der sie die Kanne hält, zittert.
"Das tust du nicht!"
Die bedruckten Blätter weichen keinen Millimeter.
Und wie schon tausend mal zuvor gießt sie ihm und sich selbst Kaffee nach und stellt die Kanne wieder ab.
Ein Nachmittag wie schon so viele zuvor. Sie sitzen im Zug nach Frankfurt. Er hat dort geschäftlich zu tun. Und um ihre Reiselust zu stillen, hat er sie mitgenommen. Sie sitzen sich gegenüber in einem Abteil 2. Klasse. Wie immer starren ihr die tausend schwarzen Buchstaben wie kleine Augen, denen nichts entgeht, entgegen.
"Ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll. Meinst du, das schwarze Kleid ist besser als das Rote?"
"Hm."
"Ich hoffe, ich habe das schwarze eingepackt. Überhaupt, für eine Woche habe ich viel zu wenig dabei."
"Aha."
Ein rascheln geht durch die Zeitung. Kurz faltet sie sich zusammen und gibt den Blick auf seine schwarzen Haare frei. War da nicht eine graue Strähne? Doch schon breitet sich der Vorhang aus ein wenig Schwarz auf viel Weiß vor der Szene aus. Das schwarz-weiße Bild eines Unbekannten starrt sie aus der Titelseite an.
"Ich hoffe, unser Hotelzimmer ist nicht im ersten Stock. Henriette wurde mal im ersten Stock ausgeraubt. Die Diebe sind von außen durch ein Fenster eingestiegen."
"Ja,ja."
Wieder einmal fragt sie sich, ob ein Mensch so lange an einer Zeitung lesen konnte. Bestimmt liest er den einen oder anderen Artikel zwei- oder dreimal, aus reiner Bosheit ihr gegenüber. Sie kann diesen Anblick nicht mehr ertragen, steht auf und öffnet das Abteilfenster.
"Mach sofort das Fenster zu. Bei dem Zugwind kann ja kein Mensch Zeitung lesen!"
Irgend etwas zerreißt in ihr. Etwas, was schon seit einer Ewigkeit immer weiter gedehnt und gedehnt wurde. Ihre Stimme wird kalt und ruhig.
"Wenn du nicht sofort die Zeitung weglegst, springe ich aus dem Fenster."
Das tust du nicht!"
Die bedruckten Blätter weichen keinen Millimeter.
Und wie schon tausendmal in ihren Träumen steigt sie auf einen Sitz, dann auf die Ablage direkt unter dem Fenster und springt.
Am nächsten Morgen erfährt er es aus der Zeitung.
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"Kleiner Schmetterling,"
fragte ich,
"was trägst du doch für schöne Farben",
und wollte sanft über seine Flügel streichen,
denn begreifen heißt glauben.
"Nicht doch",
rief er und flatterte ganz aufgeregt.
"Du mußt wissen, das ist der Staub
der Träume, der Phantasie und der Liebe.
Nur mit ihm kann ich fliegen,
und ohne ihn muß ich sterben.
Doch wenn du ihn berührst,
wirst du die Träume wecken,
der Phantasie die Farben nehmen
und Liebe in Angst und schrecken versetzten."
"Oh, das wußte ich nicht",
sagte ich und zog meine Hand zurück.
"Schade. Solchen Staub, den hätte ich auch gerne."
"Hast du doch",
sagte der Schmetterling, und öffnete seine Flügel.
Zwei grüne Augen blickten in die meinen.
"Was ich auf den Flügeln trage,
trägst du in deinem Herzen."
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Lied (Du nur, du)
Du, der ichs nicht sage, daß ich bei Nacht
weinend liege,
deren Wesen mich müde macht
wie eine Wiege.
Du, die mir nicht sagt, wenn sie wacht
meinetwillen:
wie, wenn wir diese Pracht
ohne zu stillen
in uns ertrügen?
Sieh dir die Liebenden an,
wenn erst das Bekennen begann,
wie bald sie lügen.
Du machst mich allein. Dich einzig kann ich vertauschen.
Eine Weile bist dus, dann wieder ist es das Rauschen,
oder es ist ein Duft ohne Rest.
Ach, in den Armen hab ich sie alle verloren,
du nur, du wirst immer wieder geboren:
weil ich niemals dich anhielt, halt ich dich fest.
Rainer Maria Rilke
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Weihnachtslied
Vom Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht.
Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In märchenstille Herrlichkeit.
Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muß ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl's, ein Wunder ist geschehn.
Theodor Storm
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Ein letzter Tag...
Es war ein ganz normaler Tag im beginnenden Frühling, einer jener Tage an denen ich bereits kurz vor Ende der Nacht aufgestanden war, um mich zum Rande des kleinen Waldes zu begeben, welcher an unserer Dorf grenzte, und den Sonnenaufgang zu beobachten.
Dies tat ich oft und immer allein, denn außer mir schien kein Mensch gefallen an diesem wunderbaren Schauspiel der Natur zu finden. Doch an diesem Tage sollte alles anders kommen...
Als ich jene Stelle, welche ich immer aufsuchte um für ein paar Stunden Ruhe und Frieden zu finden, um für ein paar Stunden her Hektik und dem Egoismus der Welt zu entkommen, erreichte , sah ich dort einen Mann auf dem feuchtem Boden sitzen und der aufgehenden Sonne entgegenblicken.
Er musste die Vierzig wohl schon überschritten haben, war meines Erachtens von recht ansehnlicher Statur, trug einen Anzug welcher ihm vortrefflich stand und in seiner Rechten einen Revolver, welchen er nun langsam an seine Schläfe hob.
„Freund,“ so sprach ich zu ihm, „ welchen Schmerz magst du in dir tragen, der so groß ist, dass du deinem Leben ein Ende setzen willst? Ich bitte dich, teile ihn mit mir, auf dass er für dich erträglicher werde.“
Zu meiner großen Verwunderung sah der Fremde mich mit einem Lächeln an und antwortete: „Junger Freund, nicht Schmerz ist es, der mich hier her trieb. Ich fühle keinen Schmerz, vielmehr ist dies ein Tag großer Freude für mich.“
„ Wenn es nicht Schmerz ist, der dich treibt, aus welchem Grunde richtest du die Waffe gegen deine Schläfe?“
„Nun, diese Frage will ich dir gerne beantworten mein junger Freund.... Verantwortung, junger Freund ... Aus Verantwortungsbewußtsein werde ich mich erschießen.“
„Ihr nennt dies einen Tag der Freude und doch wollt ihr an eben diesem Tag eurem Leben ein Ende setzten? Ihr seid ein seltsamer Mensch, und ich muß gestehen, dass ich eure Worte nicht verstehe. Sie ergeben für mich keinen Sinn. Welche Verantwortung ist von einer solchen Größe, dass sie euer Leben fordert?“
„Komm, junger Freund, setzt dich neben mich, laß uns gemeinsam diesen, meinen letzten, Sonnenaufgang betrachten und ich will dir meine Geschichte erzählen.“
Bei diesen Worten ließ er den Revolver sinken. Ich aber ließ mich neben ihm auf dem feuchten Boden nieder und blickte wie er der aufgehenden Sonne entgegen. So saßen wir denn wohl zehn Minuten schweigend nebeneinander ehe der Fremde zu erzählen begann:
„Es ist nun schon etliche Jahre her, ich war damals in deinem Alter. Damals begann ich nach einem Wissen zu streben, welches der gesamten Menschheit ein großes Geschenk seien sollte. Ich widmete mein ganzes Leben diesem Ziel, und gestern, nach langen Jahren der Forschung wußte ich, dass ich endlich am Ziel angelangt war. Doch mit diesem Wissen kam auch die Erkenntnis, dass die Menschheit nicht reif genug für mein Geschenk ist. Sie wären nicht in der Lage die Verantwortung, die sie mit meinem Geschenk erhalten würden, zu tragen, sie würden sich gegenseitig Vernichten... Mein Wissen kann uns in den Garten Eden führen, doch es kann ebenso die Apokalypse herbeiführen... und die Menschen würden den Weg in nach Eden nicht finden, dazu sind sie noch nicht reif genug. Nein, der einzige Weg das leben der Menschen, die ich liebe, zu erhalten ist mein Wissen und somit in letzter Konsequenz mein Leben zu vernichten“
Nachdem er geendet hatte verstand ich, warum er hier saß und ein letztes mal den Sonnenaufgang genießen wollte. Wir saßen zusammen, und betrachteten das Schauspiel ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Die Stunden vergingen und es muß schon gegen Mittag gewesen sein als ich mich aufmachte wieder heim zu gehen um ihn die letzten Schritte seines Weges gehen zu lassen...
„Eine letzte Bitte habe ich an dich.“ sprach mich der Fremde noch einmal an und überreichte mir einen dicken braunen Umschlag, „ Dies sind meine Aufzeichnungen, in der Eile habe ich vergessen, dass auch sie eine große Gefahr sind. Dir, junger Freund, vertraue ich und möchte dich hiermit bitten sie zu verbrennen. Da du mir in den paar Stunden die wir zusammen verbracht haben lieb und teuer geworden bist beschwöre ich dich diesen verfluchten Umschlag nicht zu öffnen. Wirf ihn einfach ins Feuer.“
So nahm ich denn jenen Umschlag, welcher das tödliche Wissen des Fremden enthielt und verließt den Ort, an welchem heute ein Leben enden sollte.
Zurück in meiner Wohnung, entzündete ich im Kamin ein Feuer, wartete bis die Flammen hell und fröhlich loderten. Doch als ich das Wissen des Fremden der Vergessenheit übergeben wollte zögerte ich. Der teuflische Dämon der Neugier hatte mich gepackt. Was mochte wohl in jenem dicken braunen Umschlag sein, so grausam, dass ein Mann sein Leben gab um dieses, sein Lebenswerk ungeschehen zu machen? Schließlich konnte ich nicht anders als das schützende Siegel zu erbrechen.
Er enthielt nichts außer einem Stapel beschriebener Blätter, doch anstatt auf die Warnungen des Fremden zu hören begann ich zu lesen, und was ich da las war einfach und logisch und doch fantastisch... ich las den gesamten Tag hindurch und als ich gegen Abend mit der letzten Seite geendet hatte, begann ich zu verstehen....
Schweigend warf ich die Blätter in meinen immer noch brennenden Kamin, wartete bis auch das letzte vollständig von den Flammen verzerrt worden war.
Erst dann begab ich mich erneut zu der Stelle wo ich am Morgen den Fremden getroffen hatte. Die ganze Nacht saß ich dort und als am nächsten Morgen die Sonne aufging blickte ich ihr freudig entgegen. Als es aber gegen Mittag ging nahm ich den Revolver aus des toten Freundes Hand.....
Nils Lohmann
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2 Menschen im Zug
So zarte Hand auf ihrem Gesicht,
so liebender Kuß auf ihren Lippen,
eine streichelnde Geste auf braunen Harren
und Augen erfüllt mit unendlicher Liebe und
Zuneigung ruhen auf ihrem Haupt.
Sie geben sich soviel Wärme, spenden einander Kraft,
haben den Mut gemeinsam einen Weg zu gehen.
Seis drum - wahre vollkommene Liebe,
zwei junge Menschen im Zug und
Bestürzung überkommt mich weil ich weiß,
daß Menschen wie ich solche Glücksgefühle niemals haben werden.
Ich liebe meine Freiheit über alles,
versuche mit jedem Atemzug mein Denken zu erweitern,
hab mich anderen Dingen verschrieben und
doch sehn ich mich nach dir - nach Liebe.
So hat mein Denken eine Perfektion erlangt,
die wohl weit über das des normalen menschlichen Geistes hinausgeht.
Meine Gedanken gehen in die Tiefem,
in den schwarzen Abgrund der menschliches Seele.
Es erschreckt und fasziniert mich zugleich die Menschen zu erkennen,
zu erforschen, ihre Dummheit die entsetzt,
ihr gespielter Glaube an etwas,
daß sie längst vergessen haben.
Menschen wie ich, Menschen deren Freude Abgründe,
Trauer, Schmerz und Tod sind, durch ihre Gedanken verdammt,
unfähig zu Lieben und doch mehr erfüllt von ihr als es vorstellbar ist.
Jeder Atemzug, jede Bewegung alles voller Liebe und
doch - verdammt von ihr.
So umgibt mich eine Kälte,
eine Verachtung für die Menschen - doch erfüllt von Mitleid
suche ich Wärme zu geben.
Ein Stern so strahlend,
wunderschön - unerreichbar und nur ein Traum.
Nun ich bin der Schatten der Menschheit geworden.
Elfi
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Der Mond
von Schafstädt, Lutz
Im Zimmer war es dunkel und still. Das Kind erwachte aus dem ersten Schlaf.
Es schob die Decke zur Seite, ertastete mit den Fußspitzen den Boden und
stieg aus dem Bett. Sich mit den Fäusten die Augen reibend ging es ans
Fenster.
Lange stand das Mädchen regungslos und blickte hinaus. Das Feld, gleich
hinter der leeren Straße vor dem Haus, war von einem bleichen Grau überzogen
und sah viel kleiner aus als am Tag. Auch die Baumreihe an seinem Ende war
näher gerückt. Auf ihr saß der Mond. Er leuchtete gelb herüber. Zu seinen
Füßen versteckte sich die Bahnlinie. Gerade wurde sie von einem Zug
verraten, der sich mit erleuchteten Fenstern auf ihr entlang schlängelte.
Eine Lichterkette auf Reisen, deren oberer Rand nur knapp unter dem Mond
hindurchpasste.
Das Kind zuckte zusammen, als plötzlich mit einem dumpfen Rascheln eine
Puppe aus dem Bett auf den Boden fiel.
Der Vater bemerkte, wie sich die Türklinke zum Wohnzimmer zögernd senkte. In
den Sessel gesunken, mit einer ausgebreiteten Zeitung auf den Knien, saß er
vor dem lautlos geschalteten Fernseher. Er schob seine Lesebrille auf die
Nasenspitze und blickte über ihren Rand hinweg auf seine Tochter. Barfuss,
in knöchellangem Nachthemd und mit wuscheligem Haar stand sie in der halb
geöffneten Tür.
„Warum schläfst du noch nicht, Prinzessin?“
Sie schwieg und blinzelte verschlafen in den hellen Raum.
„Was gibt es? Hast du schlecht geträumt?“
„Ich will nach Hause, Papa.“
Genau diesen Satz mochte er nicht. Unwillig runzelte er für einen Augenblick
die Stirn, um den kleinen Stich, den er ihm jedes Mal versetzte,
abzuschütteln. Doch es war die gängige Sprachregelung seit der Trennung:
Eine Woche bei Papa, eine Woche zu Hause.
„Aber warum denn?“, fragte er betont gelassen.
Immer noch zögerte sie. „Der Mond“, flüsterte sie schließlich.
„Papa, der Mond ist so groß.“
Er lächelte, obwohl ihm die Unruhe in ihrer Stimme nicht entgangen war.
„Na, komm her!“, sagte er, legte die Zeitung zur Seite und
streckte ihr die Arme entgegen. Mit schnellen Schritten war sie bei ihm und
sprang auf seinen Schoß.
„Hast du das noch nie gesehen? Pass auf. Manchmal funktioniert die
Luft wie ein Vergrößerungsglas. Wenn das Wetter genau so ist wie heute, dann
kann man den Mond wie durch eine Lupe sehen - und sich alles ganz genau
anschauen.“
Die Tochter schlang die Arme um seinen Hals und verbarg ihr Gesicht. Er
spürte ihren hastigen Atem auf seiner Brust.
„Du brauchst doch vor dem Mond keine Angst zu haben“, versuchte
er sie zu beruhigen und streichelte ihren Rücken.
Sie schmiegte sich noch enger an ihn. „Aber er wird immer größer. Er
fällt herunter!“
Er nahm ihren Kopf zwischen beide Hände und schaute in ihr Gesicht.
„Wie kommst du darauf? Der Mond kann nicht herunter fallen.
Niemals!“
„Doch! Er ist nicht am Himmel festgemacht!“
Der Vater war überrascht. Er hatte mit einer Frage nach dem Warum gerechnet,
um dann geduldig und vernünftig ihre Angst zu zerstreuen.
„Nein, fest ist er nicht. Er steht nie still. Er ist immer unterwegs,
hat eine Bahn, in der er um die Erde reist. Da kann er nicht heraus.“
„Und wenn er geschubst wird?“
„Was sollte denn den Mond schubsen können?“
„Ein Weltraumstein kann es. So groß wie der, der die Dinosaurier
erschlagen hat. Er war hinter dem Mond versteckt und ist jetzt dagegen
gestoßen.“
Er sah die Erregung in ihren Augen und bereute, ihr eine Gegenfrage gestellt
zu haben. Das war ungeschickt, dachte er. So steigerte sie sich nur noch
weiter in ihre Fantasien hinein.
„Hör zu“, begann er erneut. „Der Mond wandert um die Erde
und die Erde um die Sonne. Im Kreis. Immerzu. Ein Komet aber kommt geflogen,
wie ein geworfener Stein. In hohem Bogen geradeaus. Hinter dem Mond kann er
sich nicht verstecken, weil der immer gleich wieder ein Stück weiter rückt.
Und es gibt so viele Menschen mit Fernrohren auf der Erde. Die würden ihn
rechtzeitig entdecken.“
Die Tochter machte sich aus seinen Armen los. Der Vater spürte sofort, dass
er erneut einen Fehler gemacht hatte.
„Siehst du, es kann sein! Die wissen es bestimmt und sagen
nichts“, meinte sie trotzig. „Weil sie schuld sind! Sie sind mit
ihren Raketen auf den Mond geflogen und jetzt ist er zu schwer und stürzt
herunter.“
„Der Mond ist riesig. Für ihn ist eine Rakete nicht mehr als ein
...“
„Er fällt herunter!“, unterbrach sie ihn laut und sprang auf.
„Du hast nicht einmal nachgesehen! Du musst Mama anrufen! Wir müssen
uns bei ihr verstecken! Dort kommt er vielleicht nicht hin.“
Der Tochter stiegen die Tränen in die Augen. Sie schluchzte. Der Vater sah
sie ratlos an. Er versuchte, sie wieder in den Arm zu nehmen, doch sie
wandte sich ab, wollte aus dem Zimmer. Er hielt sie auf, hob sie hoch. Sie
strampelte, weinte und sperrte sich gegen ihn. Mit Mühe trug er sie zum Sofa
hinüber und hüllte sie in eine Decke.
„Beruhige dich, mein Schatz“, flüsterte er fast flehend. Prüfend
legte er ihr die Hand auf die Stirn, doch ein Fieber war nicht spürbar. Was
konnte diese Angst nur ausgelöst haben? Womit ließ sie sich zerstreuen? Er
blickte zum Fenster. Von dieser Stelle des Raumes aus war der Mond nicht zu
sehen.
„Wer hat dir nur solche Schauermärchen erzählt?“, murmelte er
vor sich hin.
„Ich hab es gesehen.“ Ihre Stimme klang matt. „Gleich ist
er hier und schlägt uns tot.“
Dem Vater kroch ein eisiger Schauer unter die Haut. Er setzte sich an ihre
Seite, suchte nach ihrer Hand und spürte, wie sie sich fest um seine
schloss. Er begriff, dass er ihre Panik nicht auffangen konnte.
„Ich bin ja da“, sagte er.
Was war nur aus den Fugen geraten? Warum konnte sie sich nicht in die
Sicherheit seiner Arme fallen lassen, ihm einfach vertrauen? Er wusste, er
durfte jetzt nicht zulassen, dass sie schweigend beieinander saßen, als
würden sie wehrlos auf ihr Ende harren. Doch sein Kopf war wie leer gefegt.
Die Stille sensibilisierte seine Sinne. Das stumme Flimmern des
Fernsehschirms wirkte gespenstisch. Die aufdringlichen Bilder der Werbespots
wurden unerträglich. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät
ab.
Der Raum schien plötzlich kleiner. Er fühlte Enge, begann zu frieren.
Seine Zunge verbreitet einen fahlen Geschmack im Mund.
Die Luft roch abgestanden.
Zur Mama will sie, nach Hause, dachte er und er ließ seinen Blick über ihren
Körper wandern. Dort fühlte sie sich sicher und geborgen, nicht hier. Sie
entglitt ihm, alles geriet aus dem Gleichgewicht. Erst die Ehe, nun sein
Kind. Er versuchte doch, ihr die gleiche Nestwärme zu bieten, aber das
einstige Vertrauen schien zerschmolzen. Der Vergangenheitsbonus war
aufgebraucht. Sollte er seine geschiedene Frau anrufen? Sie könnte
vorbeikommen, ihm helfen.
Doch er verwarf diese Idee. Was hast du mit dem Kind angestellt, würde sie
keifen, ihm Vorwürfe machen und streiten. Und genau das konnte die Tochter
jetzt am wenigsten gebrauchen.
Er stand auf und blickte zum Fenster hinaus. Der Mond stand bereits hoch,
war inzwischen blasser und kleiner geworden.
„Komm schnell her“, rief er nach er einigen Sekunden.
„Schau dir das selbst an!“
Die Tochter hob den Kopf. „Was denn?“
„Der Mond fällt an der Erde vorbei. Ich kann es ganz genau
sehen.“
„Wirklich?“ Unschlüssig setzte sie sich auf.
„Ja, wir sind heute noch einmal davongekommen! Er wird uns nicht
treffen. Er ist schon ganz klein!“
Er ging zu ihr hinüber und hob sie auf seinen Arm. Sie lehnte sich an ihn,
doch ihre innere Anspannung blieb spürbar.
„Sieht doch überhaupt nicht mehr gefährlich aus, oder?“, sagte
er und wartete darauf, dass die Angst von ihr abfiel.
„Und wenn er nur Schwung holt? Ich will runter!“
Besorgt verfolgte er, wie sie zurück auf das Sofa sprang und sich mit
angezogenen Knien in die Decke rollte.
Könnte es sein, dass sie Wahnvorstellungen hatte? Gibt es das bei so kleinen
Kindern? Nein. Ausgeschlossen! Doch der Gedanke war geboren und ließ ihn
nicht mehr los. Was, wenn die Furcht sie in diesem Augenblick um ihren
Verstand brachte, sie in das Labyrinth einer Psychose stürzte, verrückt
würde?
Er stand wie versteinert, spürte einen trockenen Klos in seinem Hals und
schluckte vergeblich.
„Ich bringe dich zurück in dein Bett“, sagte er leise. „Du
brauchst einfach nur Ruhe. Ich werde dir noch eine warme Milch mit Honig
machen und dann schläfst du ganz schnell ein.“
Sie drehte ihm den Rücken zu.
„Keine Angst. Ich werde aufpassen. Ich werde den Mond ganz genau im
Auge behalten. Wenn auch nur die winzigste Sache mit ihm nicht stimmt, wecke
ich dich sofort und wir werden nach Hause fahren und uns mit Mama
verstecken.“
„Ja?“
„Ja. Ehrenwort!“
Bereitwillig ließ sie sich an ihr Bett tragen. Sorgfältig schloss er die
Vorhänge, blieb an der Tür noch einmal stehen und sah zu, wie sie sich in
ihr Kissen kuschelte.
In der Küche nahm er einen Topf aus dem Schrank, goss Milch hinein und
schaltete den Herd an.
War doch ganz einfach, dachte er, während er einen Löffel Honig in die Tasse
stellte, konnte sich aber nicht recht darüber freuen. Schon seltsam, so eine
Panikattacke, die wie eine Seifenblase zerplatzt. Aber was hatte diese Angst
ausgelöst? Vielleicht steckte ganz etwas anderes dahinter, als der
aufgehende Mond. Oder jemand anderes. Natürlich! Warum war er nur nicht
gleich darauf gekommen. Seine geschiedene Frau!
Sein Puls schnellte in die Höhe. Schlagartig wurde ihm alles klar. Sie hatte
die Tochter manipuliert, sie benutzt, ihr Angst eingepflanzt, damit sie sich
bei ihm nicht mehr wohlfühlte. „Zu Papa will ich nicht, da fällt mir
der Mond auf den Kopf.“ Wirklich raffiniert!
Die Milch kochte über und zischte auf die Herdplatte. Eine übelriechende
Wolke stieg ihm entgegen. Der Topf, hastig zur Seite gezogen, rutschte aus
der Hand, polterte zu Boden. Die heiße Milch spritzte gegen seine Beine. Er
sprang zurück.
„Verdammt!“, fauchte er, trat mit dem Fuß gegen der Topf und
schoss ihn quer durch die Küche. Er riss meterlange Bahnen Haushaltstuch von
der Rolle, zerknüllte sie, fiel auf die Knie und klatschte sie in die
Pfützen. Die verbrühten Stellen in Knöchelhöhe begannen zu schmerzen.
Das Telefon klingelte. Das Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Er ahnte, wer
da anrief. Wollte sie kontrollieren, ob ihre gemeine Strategie aufgegangen
war?
Ohne aufzustehen ertastete er den Hörer auf dem Tisch und schob mit einem
Bein die Küchentür zu.
„Hallo“, sagte er und wartete auf die Bestätigung seiner
Vermutung. Sie war es!
„Du machst alles kaputt!“, schrie er. „Du hetzt unser Kind
gegen mich auf, machst sie halb verrückt vor Angst. Doch das werde ich dir
nicht durchgehen lassen! Da hast du dich verrechnet! Ich weiß was hier läuft
und werde mich zu wehren wissen, egal mit wie viel Monden du meine Wohnung
bewerfen wirst! Zieh dich schon mal warm an!“
Ohne eine Antwort abzuwarten beendete er das Telefonat. Sofort klingelte es
erneut. Zittrig öffnete er das Gehäuse des Hörers, nahm die Batterien
heraus, schleuderte sie von sich und sank in sich zusammen.
Die Tochter war eingeschlafen, als der Vater, mit einer Tasse in der Hand,
nach ihr sah. Leise schloss er die Tür.
Er ging ins Wohnzimmer und trat auf den Balkon hinaus. Eine kühle Brise
schlug ihm entgegen und weckte die Zweifel.
Er fühlte sich elend und starrte zum Mond hinauf, bis dessen Licht in seinen
Augen stach. Ich habe die Katastrophe ausgelöst, dachte er. Ich habe den
Mond aus seiner Bahn gestoßen. Schon morgen früh wird er mich erschlagen.
Und mein Kind hat es kommen sehen.
Er spürte einen Schauer seinen Rücken hinaufjagen. Eine Last legte sich auf
seine Brust und erschwerte das Atmen. Er lauschte seinem rasenden Puls. Wie
eine Brandungswelle sprang die Angst ihn an und durchdrang jede Faser seines
Körpers.
Lutz Schafstädt
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Gespräch zwischen Zündholz und Kerze
Es kam der Tag, da sagte das Zündholz zur Kerze: "Ich habe den Auftrag, dich anzuzünden."
"Oh nein", erschrak die Kerze, "nur das nicht. Wenn ich brenne, sind meine Tage gezählt. Niemand mehr wird meine Schönheit bewundern."
Das Zündholz fragte: "Aber willst du denn ein Leben lang kalt und hart bleiben, ohne zuvor gelebt zu haben?"
"Aber brennen tut doch weh und zehrt an meinen Kräften", flüstert die Kerze unsicher und voller Angst.
"Es ist wahr", entgegnete das Zündholz. "Aber das ist doch das Geheimnis unserer Berufung: Wir sind berufen, Licht zu sein. Was ich tun kann, ist wenig. Zünde ich dich nicht an, so verpasse ich den Sinn meines Lebens. Ich bin dafür da, Feuer zu entfachen. Du bist eine Kerze. Du sollst für andere leuchten und Wärme schenken. Alles, was du an Schmerz und Leid und Kraft hingibst, wird verwandelt in Licht. Du gehst nicht verloren, wenn du dich verzehrst. Andere werden dein Feuer weitertragen. Nur wenn du dich versagst, wirst du sterben ..."
Da spitzte die Kerze ihren Docht und sprach voller Erwartung: "Ich bitte dich, zünde mich an ..."
Verfasser unbekannt
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Ein Kind, das sich in der Dunkelheit ängstigte, rief ins Nebenzimmer: "Tante, sprich doch zu mir, ich fürchte mich!" "Aber was hast du davon? Du siehst mich ja nicht", darauf das" Kind: "Wenn du sprichst, wird es heller." (Sigmund Freud)