Bin ich Odysseus ewiger Begleiter?

Ahoi werte Seeratten, gut wieder an einem Hafen vorbeigekommen zu sein!
Seit 17 Jahren befinde ich mich nun schon auf der Suche nach dem größten Schatz der für mich existieren kann: meinem Selbst.
Hört sich narzisstisch und egoistisch an? Ist nicht so gemeint. Ich will endlich wissen, WER ich bin und WAS ich hier auf diesem Planeten eigentlich will. So wie Odysseus nicht zurück zur Heimat findet, treibe ich ständig von einer Kante der Weltkarte zur anderen und frage mich überall, wo mein Selbst sich denn versteckt hat.
Verwirrt? Ich auch.
Ich bin durchschnittlich gut aussehend, sportlich, jung, gut situiert, habe gute Noten, bin relativ fleißig, habe eine sehr gute Berufschance, habe viele Freunde, Frauen die sich für mich interessieren, nette Geschwister, relativ gesellige Eltern und immer mal wieder eine Party um mich vom Alltag abzulenken. Hört sich gut an, ist es aber nicht.
Ich habe eine Art verfrühte "Midlife-Chrisis".
Ich weiß nicht warum, aber ständig kommt mir alles was ich mache falsch vor. Ich kann es mir nicht anders erklären, als dass ich mir und der Welt um mich herum einfach nur was vorspiele. Ich verstelle mich jedes Mal wenn ich den Mund aufmach, die Augen aufschlage oder einen Atemzug mache.
Meistens weiß ich im voraus, wie ich mich jetzt verhalten werde, ich weiß schon vorher, wie die Leute mit denen ich mich gerade abgebe darauf reagieren werden und wie sie mich dann sehen werden. Wenn das Verstellen ein Problem ist, dann sind meine Lügen ein Größeres. Ich bin andauernd am lügen. Der Titel hätte auch heißen können: "Der Baron von Münchhausen 2.0" Ich lüge über mein Leben, über meine Freunde, über mich selbst, über eigentlich alles, was gerade relevant ist, weil ich weiß, welchen positiven oder negativen Effekt es auf mein Publikum hat, wenn ich mich oder etwas genau so darstelle. Publikum? Jawohl. Die ganze Welt ist meine Bühne, ich habe unglaublich viele Rollen und jede scheint mir zu passen, aber keine tut es wirklich.
Ich bin nicht böse. Wirklich, es liegt mir fern anderen Menschen etwas vorzuspielen. Ich WILL es nicht, wollte es noch nie. Wenn ich ehrlich mit mir sein könnte, würde ich es sein, egal welchen Preis ich dafür zahlen sollte. Aber ich schaffe es einfach nicht. Es ist wie eine Blockade, ein störrischer Wind, der mich ständig den Kurs wechseln lässt, sodass ich nie mein Ziel erreichen kann.
Ein Weg zu mir selbst zu finden, wäre es, jemanden zu finden, der mich durchschaut und der mir sagen kann, wer ich bin. Aber das klappt auch nicht. Wahnsinn, eine der wenigen Rollen die ich noch nie gespielt habe, ist die des glücklichen Partners, der seine Partnerin liebt oder nicht liebt, glücklich ist oder nicht glücklich ist. Warum? Ich habe mich nie getraut eine Freundin zu haben, obwohl die Möglichkeit beispielsweise gerade jetzt gekommen wäre. Ich möchte Menschen vor mir schützen, als wenn ich Frankensteins Monster wäre. Ich will niemandem weh tun. Ich habe mir geschworen, sobald ich weiß, wer ich bin, werde ich mich auf die Suche nach meiner Liebe machen und nicht ruhen bis ich sie gefunden habe.
Ich könnte noch ewig weiter schreiben, aber warum? Ich merke, dass ich mich schon wieder inszeniert habe, schon wieder in eine Rolle geschlüpft bin, schon wieder versuche Leute über die Wahrheit hinweg zu täuschen, obwohl ich selbst nicht weiß, wie diese Wahrheit denn aussieht.
Ich bin wirklich verzweifelt. Muss ich wirklich Odysseus ewiger Begleiter auf einer nie endenden Reise sein, ohne Rast und ohne Ruh, ohne Glück und ohne aufrichtige Liebe? Verdammt, nein, ich will es nicht. Aber wie kann ich sowas verhindern?
HELFT MIR! Das ist mein einziger Hilferuf und ich lasse ihn an allen Kanten meiner Welt abprallen, die sich gegen mich verschworen hat und gegen die ich mich verschworen habe.

So denn, gute Winde, sanfte Wellen und klare Himmel, meine wehrten Matrosen!