Presseschau:
Stimmen aus dem Net zur Userrevolte auf Digg.com:
In den vergangenen 24 Stunden ist bemerkenswertes beim Link-Empfehldienst Digg passiert. Er könnte zum Monument für die Macht der Community werden.
Johnny Haeusler und ich arbeiteten heute unwissend voneinander am gleichen Thema. Während er für den Spreeblick über die Vorkommnisse bei Digg schrieb, hab ich das fürs Gedruckte getan.
Wir beide aber sind zum gleichen Ergebnis gekommen: Ratlosigkeit.
Was ist passiert? Digg.com ist eine Plattform, auf der über eine Million Nutzer auf interessante Artikel im Netz hinweist. Die anderen Nutzer können dann Stimmen abgeben und so entsteht eine Hitparade der Nachrichten.
Ich selbst halte von diesem Modell wenig. Denn je mehr Nutzer hinzukommen, desto boulevardesker und reißerischer werden die Meldungen, die oben landen. Und so erstickt das Modell am eigenen Anspruch: Je stärker des Wachstum, desto weniger ist es eine Nachrichtenplattform.
Nun verwies irgendwann gestern Mittag US-Ortszeit ein Link auf eine Geschichte auf einer Hacker-Seite. Dort wurde verraten, wie der Kopierschutz der DVD-Technik HD-DVD zu umgehen ist. Ein Konsortium namens AACS-LA Advanced Access Content System Licensing Administrator (wer denkt sich eigentlich solche Namen aus?) kämpft um das Copyright im Namen der Besitzer. Diese sind: IBM, Intel, Panasonic, Microsoft, Warner Brothers, Sony, Toshiba und Walt Disney.
Die AACS-LA schrieb also das US-Gegenstück zur Abmahnung und forderte Digg auf, den Link zu entfernen. Entsprechende Schreiben gingen wohl auch an Google und Wikipedia, sowie anscheinend einige Weblogs. Während das Blog Boingboing und auch Wikipedia den Link entfernten, scheint Google nicht reagiert zu haben.
Digg entfernte den Link. Bald war ein neuer eingestellt. Auch der wurde entfernt. Und aus dem Kleinkrieg wurde eine Schlacht, als jemand auffiel, dass die Vermarkter von HD-DVD -LA im vergangenen Jahr im Digg-Videoblog warben. Hunderte von neuen Links tauchten auf, unterstützt von tausenden Stimmen.
Nach acht Stunden gaben die Digg-Macher auf. Mit-Gründer Kevin Rose schreibt im Firmen-Blog:
"But now, after seeing hundreds of stories and reading thousands of comments, you’ve made it clear. You’d rather see Digg go down fighting than bow down to a bigger company. We hear you, and effective immediately we won’t delete stories or comments containing the code and will deal with whatever the consequences might be.
If we lose, then what the hell, at least we died trying."
Vielleicht ist dies ein historischer Tag in der Geschichte des Internet. Denn hier zerrt ein Lynch-Mob vielleicht sein eigenes Kind ins Fegefeuer. Es ist zu vermuten, dass die AAundsoweiter klagen wird. Da es um Copyright geht, wird die Streitsumme höher liegen, als Digg jemals zahlen könnte. Und die Chancen auf einen Sieg von Digg stehen wohl eher schlecht: Die Verlinkung auf Hilfe zur Begehung von Gesetzesbrüchen ist nun einmal nicht erlaubt, weder in den USA noch in Deutschland.
So mancher in der Digg-Gemeinde wird vielleicht darauf spekulieren, dass es dem Industriekonsortium zu riskant ist, vor Gericht zu ziehen. Immerhin dürfte ihr Image dann im Internet noch einmal richtig durchgerüttelt werden. Doch ob das Großkonzerne aus der Konsumelektronik und aus der Musikindustrie wirklich stört? Andererseits geht es hier vor allem um eine Zahl, mit der der Code geknackt werden kann - und ist solche eine Zahl überhaupt schützbar?
Es wird spannend werden in diesem Kampf, das ist klar. Er beweist aber eben, dass Geschäftsmodelle, die sich von einer Community leben, auch in der Hand dieser Gemeinschaft sind. Und wenn die Gemeinde an der steilen Klippe sagt "Spring", dann heißt es springen. Oder die Community - und damit die Geschäftsgrundlage - sind weg.
Das ist eine Warnung für all die Großunternehmen, die wieder einmal glauben, das sei alles so leicht mit den Communities. Im Gegenteil: Es ist schwerer als alles andere. Denn je größer eine Gemeinschaft, desto schwerer ist mit ihr reden und Kirschen essen.
Und werfen wir nur einmal einen Blick auf die Digg-Kopisten auf dieser Seite des Atlantik. Zum Beispiel Webnews, das zum Reich unserer Muttergesellschaft Holtzbrinck gehört: Ein Medienkonzern kann es sich nicht leisten, "kämpfend unterzugehen". Er würde den Link löschen - auf die Gefahr, die Community zu verlieren.
Der Fall Digg dürfte nur der Anfang sein einer Vielzahl von Zerreissproben zwischen den Internet-Nutzern und denen, die mit ihnen Geld machen wollen.
(Quelle: HD-DVD als Grave-Digg-er [Indiskretion Ehrensache])