Ergebnis 1 bis 1 von 1

Thema: Artikel: Wach auf Alpha

  1. #1
    Admin oder so... Avatar von Alpha

    Registriert seit
    24.5.02 - 22:46
    Beiträge
    29.078
    Thanks
    481
    Thanked 483 Times in 286 Posts

    Wach auf Unregistriert

    Wach auf Alpha!

    "Ich bin wach."

    Wie kannst du das wissen?
    Um dich herum herrscht völlige Dunkelheit.
    Du näherst dich dem Urgrund der Welt.
    Was siehst du?

    "Nichts."

    Was siehst du Alpha?

    "Ich sehe die grünen und roten Lichter der Instrumente vor mir. Anzeigen, die mich über Innen- und Außendruck in Kenntnis setzen, über den Sauserstoffvorrat des Deepflight, über den Neigungswinkel, mit dem ich abwärts gleite, die Treibstoffreserven, die Geschwindigkeit. Das Boot misst die chemische Zusammensetzung des Wassers und zeigt sie mir in Daten und Tabellen an. Die Sensoren erfassen die Außentemperatur und liefern mir eine Zahl."

    Was siehst du noch?

    "Ich sehe wirbelnde Partikel. Schneefall im Scheinwerferlicht. Organische Substanzen, die niedersinken. Das Wasser ist gesättigt mit organischen Verbindungen. Etwas trübe. Nein, sehr trübe."

    Du siehst noch zu viel.
    Willst du nicht alles sehen Alpha?
    ...
    Was siehst duAlpha?

    "Wenig."

    Wenig ist noch übertrieben.
    Nur Menschen kommen auf die absurde Idee, sich einen Wahrnehmungsapparat dort anzuvertrauen, wo er nachweislich versagt.
    Deine Instrumente in allen Ehren, aber um zu verstehen, wohin deine Reise geht, ist ein Lichtkegel denkbar ungeeignet, Alpha.
    Dieses Licht dort ist ein enger Raum.
    Ein Gefängnis.
    Befreie deinen Verstand Alpha.
    Willst du alles sehen?

    "Ja"

    Dann mach die Scheinwerfer aus.

    Perfekte Schwärze umgab sie.

    Wach auf Alpha!

    "Ich bin wach."

    Ja, sicher, du bist wach und hoch konzentriert, aber du träumst den falschen Traum.
    Die ganze Menschheit ist in einem Wachtraum gefangen von einer Welt, die es nicht gibt.
    Wir erträumen uns einen Kosmos der taxonomischen Tabellen und statistischen Mittelwerte, außerstande, die objektive Natur wahrzunehmen.
    Das unseren Blich entzogene Ineinander und Miteinander, das untrennbar Verflochtene, versuchen wir zu entflechten, indem wir es zu einem Nacheinander und Übereinander ordnen, an dessen Spitze wir uns selbst setzen.
    Wir verständigen uns über Idole uns Ausschnitte, erklären sie zur Wirklichkeit, schaffen Abfolgen und Hierarchien, verzerren Raum und Zeit.
    Immer müssen wir etwas sehen, um es zu verstehen, aber im Moment, da wir es sichtbar machen, entziehen wir es unserem Verständnis.
    Der sehende Mensch ist blind, Alpha.
    Schau in die Dunkelheit.
    Der Urgrund allen Lebens ist dunkel.

    "Das Dunkle ist bedrohlich."

    Keineswegs!
    Es entzieht uns die Koordinaten unserer sichtbaren Existenz.
    Ist das so schlimm?
    Die Natur ist objektiv und voller Vielfalt!
    Erst durch die Brille der Voreingenommenheit verarmt sie, weil wir nach Gefallen oder Missfallen urteilen.
    Immerzu erblicken wir uns selbst im grellen Flimmern.
    Zeigen all diese Darstellungen auf unseren Computer- und Fernsehbildschirmen die wirkliche Welt?
    Ergibt die Aufsummierung aller Eindrücke Vielfalt, solange wir uns über Prototypen verständigen müssen wie "Die Katze" und "Die Farbe Gelb"?
    Es ist zweifellos etwas Wunderbares, wie das menschliche Hirn den Variantenreichtum solche Mittelwerte abtrotzt, ein prächtiger Trick, um die Verständigung über das Unmögliche möglich zu machen, aber der Preis ist die Abstraktion.
    Am Ende steht eine idealisierte Welt, in der Millionen Frauen versuchen, wie 10 Supermodels auszusehen, Familien eins Komma zwei Kinder haben und ein Chinese im Schnitt 63 Jahre alt und 1 Meter 70 groß wird.
    Vor lauter Versessenheit auf Normen übersehen wir, dass die Normalität im Abnormalen liegt, in der Abweichung.
    Die Geschichte der Statistik ist eine Geschichte der Missverständnisse.
    Sie hat uns geholfen, Überblick zu gewinnen, aber sie leugnet die Variationen.
    Sie hat die Welt entfremdet.
    Und einander dafür näher gebracht.

    "Meinst du wirklich?...."

    Fortsetzung folgt....

    Die Etikettierung der Welt folgt den Besonderheiten der jeweiligen Kulturgeschichte, und jeder Kulturkreis sieht die Welt ganz anders.
    Die Inuit kennen kein einziges Wort für Schnee, aber Hunderte für Schneearten.
    Das Volk der Dani auf Neuguinea kennt keine Bezeichnung für Farben.

    Was siehst du Alpha?

    Was siehst du? Was siehst du nicht?

    Du gehst eine Straße entlang.
    In einiger Entfernung erkennst du einen Mann, der dir entgegenkommt.
    Noch ein Stück weiter führt eine Frau einen Hund spazieren.
    Klick, Momentaufnahme!
    Beschreibe, wie viele Lebewesen auf der Straße unterwegs sind und ihre Entfernung zueinander.

    "Wir sind vier"

    Nein, wir sind mehr.
    In den Bäumen sehe ich drei Vögel, also sind wir sieben.
    Der Mann ist achtzehn Meter weit entfernt, die Frau fünfzehn.
    Der Hund dreizehneinhalb, er zieht ihr voraus, liegt in seinem Halsband.
    Die Vögel befinden sich in zehn Meter Höhe und sitzen einen halben Meter auseinander. –

    Nein!
    In Wahrheit tummeln sich auf dieser Straße Milliarden Lebewesen.
    Nur 3 davon sind Menschen.
    Eines ist ein Hund.
    Außer den 3 Vögeln sitzen noch 57 weitere Vögel in den Bäumen, die ich nicht sehe.
    Die Bäume selbst sind Lebewesen in deren Blattwerk und Borke Myriaden von Insekten wohnen.
    Das Gefieder der Vögel besiedeln Milben, ebenso wie die Poren unserer Haut.
    Der Hund vereint in seinem Fell eine halbe Hundertschaft Flöhe, vierzehn Zecken, zwei Mücken und in Darm und Magen Tausende winziger Würmer.
    Sein Speichel ist gesättigt mit Bakterien.
    Ähnlich besiedelt sind wir und die Entfernung all dieser Lebewesen zueinander beträgt praktisch null.
    Sporen, Bakterien und Vieren schweben in der Luft, bilden organische Ketten, deren Teil wir sind, verflechten uns alle zu einem einzigen Superorganismus, und ebenso verhält es sich im Meer.

    Was bist du, Alpha?

    "Ich bin in weiten Umkreis die einzige menschliche Lebensform."

    Du bist ein Partikel Alpha.
    Ein Partikel in der Vielfalt.
    Keinem anderen Menschen gleichst du vollständig, wie keine Zelle einer anderen in jedem Detail gleicht.
    Irgendwas ist immer anders.
    So musst du die Welt betrachten.
    Als Spannbreite von Ähnlichkeiten.
    Ist es nicht tröstlich, dich als Partikel begreifen zu dürfen, wenn dir dafür Einzigartigkeit zugestanden wird?
    Du bist ein Partikel in Raum und Zeit.


    Fortsetzung folgt...
    Geändert von Alpha (08.06.2011 um 01:20:50 Uhr)
    You made my Day Alpha

    Zukünftiger Meister der Fußballbundesliga-Tipprunde 2013/2014

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •