Die Angst vor den Dynamo-Fans
Wenn dieser Verein aufsteigt, atmet die Regionalliga auf. Wo Dynamo spielt knallt es regelmäßig. Dort gibt es dann Schwerverletzte, zerstörte Busse. Steine fliegen. In Dresden resignieren sie schon.
Ursprünglich wollte Boyan nur seinen Lieblingsverein St.Pauli anfeuern. Mit seinem Vater Manfred fuhr der 15-jährige in einem der acht Fanbusse zum Regionalligaspiel bei Dynamo Dresden. Aus Jux trug er einen Bauhelm. Boyan hatte davon gehört, wie gefährlich die Dresdner Fans sein sollen. Hinterher war Boyan froh, dass er den Helm getragen hatte. Der Helm rettete ihm womöglich das Leben. Fussball in Dresden, das ist für Gästefans kein Spaß. Als SPORT BILD vorige Woche über die möglichen Rückkehr von Dynamo Dresden in den bezahlten Fussball berichtete, erreichten die Redaktion viele Briefe von Fans, die Dynamo alles Gute im Aufstiegskampf zur 2. Liga wünschten. Dann hätte die Regionalliga endlich Ruhe vor den 1.FC Dynamo und seinen Brutalo-Fans! Sechs von zwölf befragten Regionalliga-Clubs berichteten von gelegentlich brutalen Attacken und Übergriffen von Dynamo-Rowdys im vergangenen Jahr.
Am 27. September wurde einem Chemnitz-Fan (Name der Redaktion bekannt) das Gesicht zertrümmert, als ein Dynamo-Anhänger sinnlos einen Stein in die Menge warf. Das Opfer erlitt Kiefer- und Augenhöhlenbrüche, lag im Koma und schwebte in Lebensgefahr. Heute ist er arbeitsunfähig und hat den Geschmacksinn verloren. Bis heute traut sich dieser Fan in kein Stadion. Äußern möchte er sich nicht. Der Täter - vorher nie auffällig - hat sich entschuldigt, muss aber wegen versuchten Totschlags 15 Monate hinter Gitter. Die Reaktion aus Dresden? Thorsten Rudolph, Vorsitzender des Dresdner Fanprojekts, klingt resigniert, wenn er sagt: " Es hört sich blöd an: Aber wenn große Fanmassen kommen, passiert immer etwas. Es ist halt so"
Auch beim Spiel am 28. November gegen Braunschweig flogen Steine, damals auf die Fanbusse. "Das war ein Flutlichtspiel, da können immer irgendwelche Idioten im Schutz der Dunkelheit für Chaos sorgen", sagt Rudolph.
Probleme mit der Abfahrt des Gästebusses gab es auch neun Tage später nach dem Spiel gegen Wattenscheid 09. David Goralski, Wattenscheids Fanbeauftragter: "Plötzlich trat einer gegen unseren Bus. Der Fahrer sprang raus und stellte ihn. Sofort waren 30 Dynamo-Fans da und bedrohten ihn." Die Polizei verhinderte Schlimmeres. Dresdens Fanbeauftragter Rudolph nennt den Busfahrer "sehr mutig".
"Ich kann jeden Fan verstehen, der nicht nach Dresden kommt"
Anzeige erstattet haben Fans von Paderborn. Ihnen wurde am 3. Mai 2003 eine Zaunfahne geklaut. Brutal wurden Paderborner Fans am Bahnhof über die Gleise gejagt. Normalzustand in Dresden? Rudolph: "Leider ja. Das Klauen von Fahnen und Schals gab es immer. Es macht den Fussball nicht brutaler."
Noch immer wütend ist der Wupertaler SV über die Dynamo-Fans. "Sie verwüsteten am 13. März unseren Gästeblock. Sie rissen die Zäune nieder, wir mussten eine Stahlbaufirma beauftragen - es könnte uns eine fünfstellige Summe kosten", sagt Christian Schindler, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.
Dynamo-Präsident Jochen Rudi kontert: "Unser Sicherheitsdienst hatte schon vor dem Spiel festgestellt, das der Zaun defekt war." Die Fans von Dynamo Dresden - ein Haufen von Chaoten und Randalierern? Thorsten Rudolph hat zumindest Verständnis für die aufgebrachten Gäste: "Ich kann jeden Fan verstehen, der nicht nach Dresden kommt. Nach den Spielen gibts wirklich große Probleme."
Präsident Rudi meint, die Diskussionen rund um Dynamos Fans würden vor allem durch den schlechten Ruf aufkommen. Daran seien die Krawalle von 1991 nach dem Europacuppokal-Spiel gegen Roter Stern Belgrad (Dynamo wurde international zwei Jahre gesperrt) und von 2002 nach dem Derby gegen den Dresdner SC schuld, so sein Eindruck. Damals wurden 43 Beamte verletzt, drei davon schwer. Die Polizei ermittelte wegen versuchten Totschlags gegen Dynamo-Fans. Präsident Rudi sagt: "Kein Verein geht so sensibel mit den Fans um wie wir." Im Stadion habe Dynamo fast nie Probleme, weil rund 160 Hooligans Stadionverbot haben. Rudi: "Außerhalb des Stadions ist die Polizei zuständig."
Und die mache taktische Fehler sagt Fanprojektleiter Rudolph: "Der Weg, durch den die Gästefans zum Bahnhof oder zu den Bussen schleusen, ist links und rechts gesäumt von Dynamo-Fans. Am Bahnhof warten etwa 1500 von ihnen auf den Showdown. Viele sind nicht gewaltätig , wollen nur zusehen wie es knallt. Das ist moderner Voyeurismus."
Der 500 Meter lange Rückweg vom Dynamo-Stadion ist für Gästefans ein Spießrutenlauf. Boyan der St.-Pauli-Fan mit dem Bauhelm, hat es selbst erlebt. Draußen begannen die Schlägereien. Aus Angst trug Boyan den Helm sogar im Bus. Plötzlich knallte es, eine Scheibe ging zu Bruch. Ein Stein, groß wie eine Faust, traf gegen den Helm. Geschockt sah Boyan den Stein, er lag neben ihm auf dem Sitz. Der Helm hatte ihm das Leben gerettet. Heute sitzt der Schock tief. Boyan geht weiter zum FC St. Pauli - aber nie mehr mit nach Dresden.