Ein Zeitungsbericht www.tages-anzeiger.ch

John Lennon wurde heute vor 25 Jahren vor seinem Haus in New York erschossen. Die Verklärung der Beatles- Ikone verdeckt die Widersprüche von Person und Musik.
In den 25 Jahren seit seinem Tod wurde John Lennon systematisch zum Friedensapostel veredelt. Nichts würde ihn wohl mehr ärgern als das.



Als die Beatles noch an der Hamburger Reeperbahn auftraten, zeigte er sich auf der Bühne gerne mit Hitlergruss und einer Klobrille um den Hals. Er prügelte sich mit Seeleuten, Zuhältern und anderen Typen, mit denen er Schwierigkeiten bekam. Und John Lennon bekam schnell Schwierigkeiten, vor allem wenn er betrunken war, unter Amphetamin stand oder beides. Zudem hatte er die ungünstige Angewohnheit, anderen rücksichtslos seine Meinung zu sagen. Selbst sein Humor war gefürchtet wie eine Waffe.

Daran änderte sich wenig, als Manager Brian Epstein die vier Liverpooler in Anzüge steckte und zur jugendfreien Popgruppe ummodelte. Wie er seine Autobiografie denn nennen sollte, fragte Epstein Lennon einmal. « Queer jew » , gab dieser ungerührt zurück: schwuler Jude.

Den Sänger Tom Jones begrüsste er bei der ersten Begegnung mit den Worten « Na, du olle Waliser Schwuchtel? » , die behinderten Zuschauer an den Beatles- Konzerten nannte er Krüppel, seine erste Frau Cynthia versteckte er vor der Öffentlichkeit und ignorierte sie ebenso wie ihren gemeinsamen Sohn Julian, auch anderen Frauen gegenüber konnte er von ausgesuchter Grausamkeit sein. « Wir fackelten nicht lange » , bekannte er kurz nach der Trennung der Beatles und verglich den inoffiziellen Teil ihrer Tourneen mit Fellinis « Satyricon » : « Es gibt Bilder von mir, wie ich auf allen vieren aus einem Amsterdamer Bordell hervorkrieche. »

Wenig Hoffnung aus den Sechzigern

Selbst seinen ehemaligen Partner und Freund Paul McCartney ridikülisierte Lennon in aller Öffentlichkeit, als er ihm in seinem Song « How Do You Sleep? » mit Zeilen wie « the only thing you’ve done was Yesterday » attackierte. Mitleidlos erkannte er auch, wie wenig von den Hoffnungen der Sechziger übrig bleiben würde. « Dieselben Leute sind an der Macht » , sagte er schon 1970, « das britische Klassensystem und die ganze verdammte Bourgeoisie haben sich kein bisschen geändert, es laufen bloss ein paar Kids aus der Mittelklasse mit langen Haaren und bunten Kleidern herum. » Von dieser Schärfe hat sich nichts erhalten. Je länger John Lennon tot ist, desto inniger strahlt er als Lichtgestalt. Seit seiner Ermordung vor 25 Jahren wird er zum Friedensapostel mit Gitarre verklärt. Die Lobpreisung ist zum globalen Himmelschor angeschwollen, der mit den Trauerfeiern vor dem Dakota- Gebäude einsetzte und bis heute nicht verklungen ist.

Unter Anleitung von Lennons Witwe Yoko Ono und des ihr ergebenen Musikmagazins « Rolling Stone » ist der scharfzüngige Beatle sukzessive zum « Martin Luther Lennon » umgedeutet worden, wie sich McCartney etwas bitter, aber völlig zu Recht beklagt hat. Sein toter Freund wird für Hymnen wie « Give Peace a Chance » oder « Imagine » verehrt, als habe er seine Wut und seine Verzweiflung in so bitteren Stücken wie « Yer Blues » , « Cold Turkey » oder « Nowhere Man » nicht weit eindringlicher geschildert. « Letzten Endes trauert ihr um euch selber » , schrieb der Journalist Lester Bangs über die Fans, die sich nach dem Attentat vor Lennons Haus am New Yorker Central Park versammelten. Er sollte Recht bekommen.

Verklärung als Reaktion auf Häme

Diese Heiligsprechung in Schüben wäre Lennon selbst, der schon sein Image als braver Beatle nicht ausstehen konnte, mächtig auf die Nerven gegangen. Ironischerweise lässt sich die Verklärung auch als Reaktion auf das versuchte Gegenteil interpretieren, nämlich auf « The Lives of John Lennon » , die systematische Fertigmach- Biografie von Albert Goldman. Der hatte schon Elvis zum ödipalen Fresssack entwürdigt. Lennon wird bei ihm zum appetitlosen Neurotiker, der bis zu seinem Tod von Drogen abhing, seine meiste Zeit
im Bett verbrachte und mit seiner eisigen Frau Yoko Ono in Hassliebe verstrickt war. Einiges von dem sei wohl wahr, bemerkte Beatles- Produzent George Martin im Gespräch, nur habe der Biograf alles Gute an Lennon unterschlagen – seinen anarchischen Humor, seine Aufrichtigkeit, seine Leidenschaft, seine Grosszügigkeit.

Und seine Musik. Lennons Lieder und vor allem seine Stimme berühren einen umso tiefer, je eher man seine Widersprüche akzeptiert. Der Halbstarke war auch der Zerbrechliche, der Sarkastiker war auch ein Zweifelnder und Verzweifelter, der Rock ’ n’ Roller ein träumerischer Balladeur. Den anderen Lennon haben zu wollen ohne den einen, macht ihn zu dem, was er am allermeisten hasste: einem singenden Klischee. Fröhlich, sauber und verlogen.