RTL-2-Show "Tatort Internet"
Irreführung als Programm
(Ein Artikel von Spiegel.de)

Ein Kommentar von Dietmar Hipp



dpa
Ministergattin Stephanie zu Guttenberg: Hysterie und Unfug als Sendekonzept
Die hysterische RTL-2-Show "Tatort Internet" hat eine Mission: Ein Gesetz soll her, um Erwachsene bestrafen zu können, die sich online an Kinder heranmachen. Was die Macher der Sendung lieber verschweigen: Das Gesetz existiert längst - und verbietet sogar, was außerhalb des Internets erlaubt ist.

Sex sells, weiß die Werbeindustrie. Sex sells, scheinen auch TV-Programmmacher und öffentlicher Aufmerksamkeit nicht abgeneigte Politikergattinnen zu wissen - erst recht, wenn es um eine an sich gute Sache wie den Kampf gegen Kinderschänder im Internet geht. Dagegen muss man etwas tun, lautet seit Wochen die Botschaft der Reihe "Tatort Internet" bei RTL 2, unterstützt und begleitet von der Verteidigungsminister-Gattin Stephanie zu Guttenberg.



"Wir haben überwältigenden Zuspruch aus der Bevölkerung erfahren", resümierte der Produzent der Reihe, Daniel Harrich, jüngst in der "FAZ". Durch die "mediale Aufmerksamkeit sowie Millionen Zuschauer" sei das Thema "Cyber-Grooming" zu einem der präsentesten Themen der letzten Wochen geworden. In der Tat. Vor allem die "Bild"-Zeitung hat - sex sells - bereitwillig die vorgeblich schockierenden Inhalte der Sendung begeistert transportiert. Dass andere Medien und manche Politiker indes den Pranger-Charakter der Reihe kritisierten, könne er "nur schwer nachvollziehen", klagte Harrich. Schließlich gehe es bei "Tatort Internet" um "die für meine Begriffe skandalöse Tatsache, dass die Anbahnung eines sexuellen Kontaktes mit Minderjährigen nach geltender Rechtslage noch nicht strafbar sein soll. Will unsere Gesellschaft das?"
Sicher nicht.

Was die Gesellschaft aber sicher noch weniger will, ist, von selbsternannten Kinderschützern hinters Licht geführt zu werden.

Ein Skandal ist allenfalls, dass es ein Sender schafft, über Wochen hinweg einen rechtspolitischen Reformbedarf zu behaupten, den es so nicht gibt. Denn schwer nachvollziehbar ist, dass - wie Harrich behauptet und die Macher der Reihe seit Wochen suggerieren - die Anbahnung eines sexuellen Kontakts mit Minderjährigen nach geltender Rechtslage noch nicht strafbar sein soll. Und dass gerade das Internet hierfür ein rechtsfreier Raum sein soll. Denn genau das Gegenteil ist der Fall.

Den Zuschauern wird etwas vorgespielt

Auch wenn der Kampf gegen Kindesmissbrauch eine honorige Sache ist - das erklärte Hauptanliegen der Sendung, die sexuell motivierte Kontaktanbahnung im Internet unter Strafe zu stellen, ist bereits seit 2004 erledigt. Die behauptete Schutzlücke - es gibt sie hierzulande nicht mehr. Und wenn es eine Schutzlücke gibt, dann im realen Leben, aber nicht im Internet.

Ende 2003 fügte die damalige rot-grüne Regierungskoalition eine neue Vorschrift in das Strafgesetzbuch ein, die es unter Strafe stellt, wenn jemand "auf ein Kind durch Schriften einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen". Ausdrücklich wollte der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift die Kontaktanbahnung von Pädophilen mit Kindern im Internet, in "Chatroooms und ähnlichen Einrichtungen" erfassen, um hier "eine Strafbarkeitslücke zu schließen". Verabschiedet wurde das Gesetz am 27. Dezember 2003. Am 1. April 2004 trat es in Kraft.

Seither drohen jedem, der sich über das Internet mit sexuellen Absichten an Kinder heranmacht, drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe - dafür, dass dieser Tatbestand bereits ohne tatsächlichen Sexualkontakt erfüllt ist, weil es sich hier um eine bloße "Vorbereitungshandlung" handelt, ein drastisches Strafmaß.

Eine gewisse Verwirrung kann zwar dadurch entstehen, dass die Strafnorm von "Schriften" redet und nicht vom "Internet". Das hat gesetzestechnische Gründe. Dies zur Deckung zu bringen, gehört aber zum juristischen Handwerkszeug: Denn unter "Schriften" fasst das Strafgesetzbuch in seinem allgemeinen Teil seit 1997 ausdrücklich auch "Datenspeicher". Und dazu gehören nach der Gesetzesbegründung auch die Arbeitsspeicher eines Computers. Damit sind - nach herrschender Meinung - auch moderne Kommunikationsformen im Internet wie Chats und Instant-Messaging-Dienste umfasst. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat darauf inzwischen mehrfach hingewiesen, ebenso wie führende Rechtswissenschaftler und Gesetzeskommentatoren.

Dennoch gibt es vereinzelte Stimmen - und dazu gehört auch die bayerische Justizministerin Beate Merk - die meinen, die Kontaktanbahnung im Internet sei vom strafrechtlichen "Schriften"-Begriff - entgegen des klaren gesetzgeberischen Willens - nicht eindeutig erfasst. Der BGH hat aber bereits, im Zusammenhang mit Kinderpornografie, elektronische Arbeitsspeicher (und die darauf basierende Bildschirmanzeige) als Schrift im Sinne des Strafgesetzbuchs akzeptiert. Und eine solche Diskussion würde im Ernstfall keinen zupackenden Staatsanwalt davon abhalten, die Sache anzuklagen und damit eben auch die extra auf die Kontaktanbahnung zugeschnittene Strafnorm einer Klärung zuzuführen.

Bloß nicht zu genau hinsehen

Selbst wenn man die Norm für unklar hält - ihre Existenz (und den eindeutigen Willen des Gesetzgebers) zu ignorieren, ist ein starkes Stück. Die Hysterie von "Tatort Internet" geht aber noch weiter: Denn während über den weitgefassten Schriften-Begriff das Anbaggern von Kindern im Internet unter Strafe steht, ist dieselbe Ansprache (und selbst klare Anmache) in der sogenannten realen Welt, also etwa am Telefon, auf der Straße, im Bus oder zu Hause auf dem Sofa, nicht unter Strafe gestellt. Das Internet ist hier gerade kein rechtsfreier Raum - sondern der einzige Raum, wo bloße Kommunikation mit sexueller Absicht unter Strafe steht.

Wissen das die Macher von "Tatort Internet" nicht? Oder wollen sie es nicht wissen?

Dass die Vorschrift etwas versteckt in Paragraf 176 Absatz 4 Nummer 3 des Strafgesetzbuchs ihr Dasein fristet, kann es nicht sein. Harrich etwa erwähnt den Paragrafen ausdrücklich. Er zitiert sogar den einschlägigen Wortlaut, sagt aber, diese Einwirkung solle laut Gesetz "straffrei bleiben", denn "ausdrücklich" sei hier "der Versuch" nicht strafbar. Das ist so schon fast kunstvoll danebengeschossen: Zwar stellt das Gesetz den bloßen "Versuch" der Kontaktanbahnung nicht unter Strafe (also wenn jemand sich in einen Chat einloggt, aber dann doch nicht kommuniziert) - die tatsächliche Kontaktanbahnung zu Kindern aber sehr wohl, und den Versuch des Missbrauchs (also wenn der Pädophile das Kind zu sexuellen Handlungen auffordert, sei es über das Internet, sei es bei einem echten Treffen) erst recht.

Absurde Forderung

Da hat jemand entweder Dinge missverstanden, die selbst ein Laie bei gründlicher Gesetzeslektüre kaum missverstehen kann - oder er hat versucht, eine grobe Täuschung mit einer noch groberen zu vertuschen.

Würde man, wie manche Politiker fordern, die bestehende Vorschrift nun explizit auf das Internet zuschneiden, würde das immerhin einer geplanten EU-Richtlinie entsprechen. Allerdings sieht diese eine Strafbarkeit des Cyber-Grooming nur vor, wenn es auch tatsächlich zu einem Treffen kam - nach geltendem deutschen Recht braucht es das nicht. Und die Strafbarkeit würde sich mit einer solchen Umformulierung nicht erweitern, sondern verengen: Die Kontaktanbahnung (im realen Leben) mittels geschenkter Bücher oder DVDs etwa, die im Moment wegen des weiten Schriften-Begriffs ebenfalls strafbar ist, würde dann straffrei werden.



Wenn man Produktionsleiter Harrich beim Wort nimmt, dass auch der Versuch der sexuell motivierten Kontaktanbahnung im Internet unter Strafe zu stellen sei, wird die Sache indes völlig absurd. Denn momentan (insofern haben die Macher von "Tatort-Internet" wieder recht), haben sich die Pädophilen, die auf den Fake des Senders hereingefallen sind, alleine durch den Chat mit den nur angeblich 13-Jährigen, in Wahrheit aber wesentlich älteren Lockvögeln, nicht strafbar gemacht: Weil sie eben nicht zu "Kindern", sondern tatsächlich zu Jugendlichen oder sogar Erwachsenen Kontakt aufgenommen haben, wurde der gesetzliche Straftatbestand nicht verwirklicht, es blieb (mangels tauglichem Opfer) beim, wie Juristen sagen,"untauglichen Versuch".
Würde jetzt der bloße Versuch der Kontaktanbahnung selbst auch noch unter Strafe gestellt, wäre dies nicht nur eine noch stärkere und weitgehend sinnlose Vorverlagerung der Strafbarkeit - sondern hätte auch zur Folge, dass eine Sendung wie "Tatort Internet" künftig nicht mehr möglich wäre. Denn wenn schon der Versuch strafbar ist, könnte sich jeder, der die Täter dazu ermuntert oder ihnen auch nur Gelegenheit zur Tat verschafft, wegen Beihilfe strafbar machen. Also auch die Macher der Reihe, der Produzent, der Lockvogel, und letztlich sogar die Ministergattin - und darauf würde es Letztere wohl nicht ankommen lassen.

Wäre ja auch schade, wo sich Sex auf RTL 2 doch so gut verkauft.