Wie man sich am besten Freunde macht
von Bianca Stücker
Neuerdings kündigen ja alle ihre Facebookaccounts. Ich nicht. Ich melde mich erst mal an. Immer schön gegen den Strom schwimmen! Ich gebe die Emailadresse meiner besten Freundin Scholastika an, nenne mich nach dem Zufallsprinzip Kreszenz Coelestine Weydenhaupt (Scholastikas Klarname) und wähle als Beruf hugenottische Handleserin.
Dann überlege ich, wie ich am schnellsten berühmt werde und zahlreiche Freunde finde. Im Vorfeld rekapituliere ich kurz, was man bei Facebook alles soll und was lieber nicht. Man soll ja zum Beispiel keine Bilder hochladen die einen dabei zeigen, wie man betrunken auf einer Party im Müll liegt und von einem Schlingel mit seinem umgebauten Rasierapparat Hakenkreuze auf die Stirn tätowiert bekommt. Oder Penisse. Das macht alles einen ganz schlechten Eindruck, insbesondere auf aktuelle und künftige Chefs, die, wie jeder weiß, nichts Besseres zu tun haben, als den lieben langen Tag im Internet das Privatleben ihrer Bewerberinnen zu erforschen.
Das kann mir jedoch alles egal sein, ich habe keine Chefs, ich bin selber Chef. Chef meines eigenen kleinen Familienunternehmens, wie jede Frau. Außerdem bin ich in Wirklichkeit ja gar nicht Kreszenz Coelestine Weydenhaupt, wie mir gerade wieder einfällt. Puh, denke ich erleichtert, das wäre aber auch ungünstig gewesen!
Es kann also losgehen. Als Erstes sammle ich illegal Fotos von Nacktmodellen, die sich der Erfüllung besonders außergewöhnlicher Männerphantasien verschrieben haben. Die Köpfe schneide ich ab und klebe stattdessen den Kopf von Scholastika auf die nackten Leiber, auf denen sich häufig etwas tummelt, ich sage aber nicht, was. Eine echte Diva besteht schließlich zu siebzig Prozent aus Geheimnissen.
Dann befreunde ich ältere Männer, die so aussehen als ob sie gern eine Frau kennen lernen würden, die für vieles offen ist. Zack, nur Minuten später bin ich daraufhin mit allen möglichen Leuten befreundet, auch mit einigen aus Übersee und sogar mit Sibiriern, Mexikanern, Azteken. Ich entwickle sofort das Bedürfnis, ihnen alles über mich zu erzählen und ihnen weitere Bilder zu schicken, die mich unbekleidet beim Besuch eines Eiscafés zeigen. Die meisten freuen sich.
Vorsichtshalber halte ich als Kreszenz Coelestine trotzdem meinen Geburtstag und meinen wahren Wohnort geheim. Sonst kommen nachher plötzlich alle möglichen Freunde vorbei und wünschen sich, von mir mit Fanta und Kuchen bewirtet zu werden. So geht es ja nun nicht! Zumal ich bereits sehr viele Freunde habe, in Windeseile sind es über hundertfünfzig geworden. Das liegt vor allem daran, dass ich nicht wählerisch bin. Wenn mich einer fragt, ob ich sein Freund sein will, sage ich immer ja. Versehentlich habe ich zuerst auch immer ja gesagt, wenn ich gefragt wurde, ob ich jemandes Fan sein will. Inzwischen sage ich dazu kategorisch aber immer nein. Ich finde, man sollte es sich sehr gut überlegen, ob man von jemandem Fan ist oder nicht. Beinahe wäre ich irrtümlich ein Fan des Wendlers geworden! Das hätte ich nicht mit mir vereinbaren können.
Suspekt sind mir auch die Geschenke. Das erste Geschenk, das ich bei Facebook erhielt, war ein warmes, seidenes Herz. Das war mir nicht geheuer, ich habe es ignoriert. Das ist das einzig Schöne: Man kann alles ignorieren, was man will. Dafür lasse ich mich aber wiederum sehr leicht von den vielen Vorschlägen beeinflussen, die einem alle naselang gemacht werden. Vielleicht liegt es daran, dass sie in einer Art Befehlston vorgetragen werden, dem man sich nur schwer widersetzen kann. Zu meinen vielen Freunden gehört zum Beispiel der berühmte Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi.
“Giovanni Battista Piranesi ist neu bei Facebook”, heißt es plötzlich wie aus dem Nichts auf meiner Startseite, “Sag Hallo!” Ich widerstehe. Es kann sich wohl kaum um den echten Giovanni Battista Piranesi handeln.
Ich soll jedoch nicht nur Hallo sagen, ich soll auch an die Pinnwände von Leuten schreiben. Wenn man an jemandes Pinnwand schreibt, können das zahlreiche Gestalten lesen, auch zwielichtige, wie zum Beispiel Freunde von Freunden. Man sollte also genauestens abwägen, was man an eine Pinnwand schreibt. Ich zum Beispiel denke mir immer Beschimpfungen und unmoralische Angebote aus.
Manchmal möchten meine Freunde auch mit mir chatten. Das lasse ich aber nicht zu. Mit Chatten fängt es an, bei Fanta und Kuchen endet es. Das muss natürlich verhindert werden, Obacht ist gefragt! Darum bin ich ab sofort unsichtbar, wenn einer mit mir chatten will. In Sachen Unsichtbarkeit ist Facebook dem richtigen Leben einen großen Schritt voraus. Am besten mache ich mich demnächst auch unsichtbar, wenn ich Scholastika über den Weg laufe. Obwohl, es war ja nicht böse gemeint. Von seinen Freunden wird man doch wohl erwarten dürfen, dass sie ein bisschen Spaß verstehen. Hossa!