Ich lag heute morgen im Bett und hörte Radio. Es kamen die Nachrichten und ein Satz blieb bei mir haften: "Der Militärrat nahm wie von den Demonstranten gefordert die Arbeit auf ..."!
Da ich eine lange Nacht hatte und beim Einschlafen war hatte ich nur noch Zeit für den Gedanken 'Wer hat denen denn ins Hirn geschissen?' bevor ich einschlief. Nachdem ich nun ausgeschlafen bin und mich ein wenig mit der Materie befasst habe, möchte ich mich bei den Demonstranten natürlich für meinen unangebrachten Gedanken entschuldigen ... aber die Frage beschäftigt mich schon ...
1. Wie geht die Armee mit der neuen Macht in Ägypten um?
Der neue Militärrat kam den
Forderungen der Demonstranten rasch entgegen: Bereits gestern wurde die Verfassung außer Kraft gesetzt und das Parlament aufgelöst. ...
Ich bin in einer Zeit aufgewachsen (80er und frühe 90er Jahre) in denen man in den Nachrichten allenthalben von Militärputsch, Gegenputsch, Militärregierung, verschiedenen "El Présidente" und dem 'Balkan-Krieg' ( korrekterweise 'Jugoslawien-Krieg') lesen und hören konnte. Eigentlich dachte ich, es wäre mittlerweile jedem Menschen klar, dass Militärs nie gute Politiker abgeben. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass die betreffenden Soldaten in bestem Wissen und Gewissen handeln und nicht - wie leider allzu oft - auf Machtgewinn und Bereicherung aus sind.
Seien wir doch mal ehrlich, abgesehen von einigen Ausnahmen hier und da widersprechen sich die jeweils notwendige Denkweise und die jeweils notwendige Motivation von Soldaten und Politikern gewaltig:
- Wo ein Politiker für das physische, geistige und soziale Wohl des Volkes kämpft (oder es zumindest sollte!) - Muss es dem Soldaten um den SIEG über einen Gegner gehen.
- Wo ein Militär in Begriffen wie Befehl, Gehorsam, Auftrag, Sieg oder Niederlage denken muss um seinen Auftrag zu erfüllen - muss ein Politiker in Begriffen wie Kompromiss, gegenseitige Einvernahme, Ausgleich von Interessen und Reibungslosigkeit in der Regierungsarbeit denken.
Warum also bestanden die ägyptischen Demonstranten darauf, dass das Militär dafür sorgt, dass eine demokratische Regierung eingesetzt wird? Selbst wenn ich mal positiv bin und annehme, dass KEIN Militär auf den Gedanken kommt, von einer demokratischen Regierung evtl. nicht so leicht benötigte Nachschubgüter und Finanzmittel zu erhalten wie er es für notwendig erachtet?
Ist die ägyptische Mentalität so ANDERS, dass diese Vorgehensweise bei ihnen eine so weit höhere Erfolgsaussicht hat als in Südamerika oder auf dem Balkan? Im Interesse aller Menschen hoffe ich zu tiefst, dass die Demonstrantenführer in diesem Fall wissen was sie tun ...! Ich hoffe es wirklich sehr ... auch angesichts der Tatsache, dass es in Ägypten trotz eines fast dreißigjährigen Kriegsrechts scheinbar noch nie zu solchen Ausschreitungen kam wie in den letzten Wochen ... wir hätte doch sonst wohl davon gehört ... E-Mail, SMS und Mobiltelefone sind ja keine Erfindung des letzten Jahres!
Wer unter euch ein paar fachmännische Betrachtungen lesen möchte kann dies gerne hier tun:
Demokratie oder Militärdiktatur? Wie es in Ägypten weitergeht, ist völlig offen. Doch der Wandel zu einem Volksstaat hat eine Chance, wie der Nahost-Experte Ronald Meinardus in seiner Analyse zeigt. ...
Ein weiterer Punkt der mir Sorgen macht: Diese Volksaufstände/Demonstrationen/Freiheitsbemühungen sind ja nicht auf Ägypten oder Tunesien beschränkt. Einen Eindruck über die Verbreitung bekommt man wenn man sich Zeit.de und ihren Auslandsindex ansieht. Dort kann man unter anderem folgende Schlagzeilen lesen:
Das Regime in Teheran hat die Regierungskritiker Mussawi und Karubi unter Hausarrest gestellt. Offenbar fürchtet es, die Proteste in der Region könnten Schule machen. ...
Nun auch Protest in den Golfstaaten: Mit starker Polizeipräsenz versuchen die Herrscher Bahrains, eine für heute angekündigte Massenkundgebung zu verhindern. ...
Die Minister der Palästinensergebiete haben ihre Posten zur Verfügung gestellt, damit ein neues Kabinett gebildet werden kann. Der neue Premier soll bereits feststehen. ...
Rund 5000 Flüchtlinge haben in den vergangenen fünf Tagen die italienische Insel Lampedusa erreicht. Der Flüchtlingsstrom sorgt für Streit zwischen Tunesien und Italien. ...
Ebenfalls dort aufgeführt ist der folgende Artikel:
Ich erwähne ihn erst an dieser Stelle, weil er (ca. auf der Hälfte) eine interaktive Grafik beinhaltet, auf der ihr einen kurzen Überblick übe die derzeitige Situation der ARABISCHEN STAATEN des Nahen Ostens erhaltet. Hier ein Screenshot:
Von den zwölf Staaten dieser Region, haben nur Tunesien und Ägypten die "Umwandlung" begonnen; Libanon ist als einziges 'demokratisches' Land verzeichnet (bei dem es laut der Infobox allerdings eher drunter & drüber als gesittet und friedlich zu geht) und nur die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben es geschafft demokratische Freiheiten einzuführen und zu garantieren - obwohl sie nicht demokratisch aufgebaut sind.
Ist diese Region also nun die Hoffnung auf Stabilisierung und mögliche Unterstützung im Kampf gegen Terror
oder
nach Kaltem Krieg, Jugoslawien und dem 11. September nun eine weitere potentielle Gefahr für den "Weltfrieden"?
Aber nicht alles jagt mir in dieser Hinsicht Angst ein ... es gibt auch Artikel die einen schmunzeln lassen ... nachdenklich schmunzeln ... aber immerhin: schmunzeln!
Sprachwandel, schneller als die Revolution erlaubt: Binnen weniger Tage wurde Hosni Mubarak vom honorigen Staatspräsidenten zum Diktator. Seltsam ist das schon. Ein Kommentar ...