Die Regisseure des Mordens gehen den nächsten Schritt

Der Jordanier al-Kassasbeh ist vom IS bei lebendigem Leib verbrannt worden. Damit verdeutlichen IS-Strategen, dass sie westliche PR-Mechanismen durchschaut haben und stoßen die Medien in ein Dilemma.



Von Sascha Lehnartz



Foto: Getty Images
Ein Mann betet in Jordanien vor einem Bild des ermordeten Piloten al-Kassasbeh

Vielleicht würde es in dieser Lage helfen, wieder mehr Lessing zu lesen. Ja, Lessing. Gotthold Ephraim Lessing, Autor des, nein, nicht des "Herrn der Ringe", sondern der Ringparabel, die im Zentrum eines "Ideendramas" namens "Nathan der Weise" steht und deren Message, um es jetzt einmal betont unterkomplex zu formulieren, lautet: Die einzig wahre Religion gibt es nicht. Also: Seid nett zueinander. Lessing, der außerdem vor locker geschätzt 250 Jahren einen Essay mit dem Titel "Laokoon" schrieb, in dem es grob zusammengefasst um die Frage ging, in welchem Medium man den "furchtbaren Augenblick" am besten einfangen kann, in dem eine lange Geschichte in ihrer grausamsten Sekunde kulminiert.
Einen solchen mehr als zwanzig Minuten währenden, "furchtbaren Augenblick" hat uns die sogenannte Terrormiliz "Islamischer Staat" gerade vorgeführt. Ein Video, das die Gruppe verbreitete, zeigt den jordanischen Luftwaffe-Piloten Maas al-Kassasbeh, den der IS in seiner Gewalt hatte. Sie haben ihre Geisel in einen Käfig gesteckt und angezündet. Was al-Kassasbeh da erleiden musste, was seine Familie angesichts dieser Bilder ertragen musste, vermag sich kein Mensch auszumalen.
Sein minutenlanges Martyrium zeigt die Kamera in Nahaufnahme. Was von ihm bleibt, ist ein verkohlter Körper. Die Leiche des 26-Jährigen wird von einem Bulldozer verscharrt. Die 17 Minuten, die das Video dramaturgisch benötigt, um die Tat zu rechtfertigen, werden gefüllt mit den Bildern eines offenbar zuvor misshandelten al-Kassasbeh, der seine Mission als Soldat der jordanischen Luftwaffe schildert.
Es folgen Aufnahmen, die zeigen sollen, was amerikanische und alliierte Bombenangriffe anrichten. Zerstörte Häuser, verschüttete Opfer, verkohlte Kinderleichen. Es sind Bilder, deren Zweck darin besteht, die Verbrennung des jordanischen Piloten zu legitimieren. "Was wir al-Kassasbeh antun, ist das, was ihr uns tausendfach angetan habt." Das ist die Botschaft, die der IS mit der Ermordung des jordanischen Soldaten senden wollte.
Hilflosigkeit angesichts dieser Tat

Barack Obama hat den Mord als Tat einer "barbarischen und bösartigen" Organisation verurteilt, Angela Merkel sprach in einem Telegramm an den jordanischen König Abdullah II, von der "furchtbaren Nachricht" von der Ermordung des jordanischen Piloten, die sie mit "großem Entsetzen vernommen" habe. Es sei "unfassbar, dass Menschen zu einer derart grausamen Tat fähig sind." Auch François Hollande sprach in einer Erklärung von einem "barbarischen Mord", den er "mit allem Nachdruck" verurteile.

Foto: REUTERS
Barack Obama hat sich umgehend nach der Veröffentlichung des Videos mit Jordaniens König Abdullah im Weißen Haus getroffen

All das ist wohl richtig und angemessen, und zugleich zeigt die Vehemenz in der Wortwahl nicht viel mehr als Hilflosigkeit angesichts einer Tat, aus der maximale Verachtung für menschliche Würde spricht. Wer auf Twitteroder Facebook die Reaktionen auf die Veröffentlichung des nahezu professionell aufbearbeiteten Videos von der Ermordung al-Kassasbehs verfolgte, das der IS unter dem Titel "Healing the Believer's Chest" ("Die Brust des Gläubigen heilen") ins Netz gestellt hatte, dem fiel bald die relative Eintönigkeit der Empörung, die Vorhersehbarkeit des Entsetzens, auf.
"Shocking" "disgusting", oder eben "barbarisch" lautete der Aufschrei, auf den sich angesichts dieser Bilder all diejenigen verständigen konnten, die nicht gerade mit der Idee liebäugeln, irgendwann mal irgendwas mit Dschihadismus zu machen.
Angesichts des vom IS inszenierten Zivilisationsbruchs ist diese Reaktion naheliegend und nachvollziehbar, aber sie greift zu kurz.
Denn sie definiert den vom IS ausgeübten Terror als etwas gleichsam Außermenschliches, als Tat von Irren, Wilden, Vorzivilisierten, Fremden - Islamisten eben. Doch man macht es sich zu leicht, wenn man von der Brutalität der Täter und ihren archaischen Praktiken ausgehend folgert, dass man es hier mit "mittelalterlichen" Geistern oder gar "Steinzeit-Islamisten" zu tun hat.
Strategie der kontinuierlichen Eskalation

Wie viele andere Propaganda-Videos zuvor belegt dieses in besonderem Maße, dass die Strategen des IS ganz offensichtlich die Mechanismen der westlichen PR- und Medienindustrie verinnerlicht, wenn nicht gar durchschaut haben. Sie denken diese bloß zynischer zu Ende als dies ein Dschungelcamp-Produzent jemals könnte.
Der IS verfolgt bei der Inszenierung seiner Taten eine Strategie der kontinuierlichen Eskalation. Nach einer Serie von Enthauptungen, an die das Publikum sich langsam zu gewöhnen begann, hat er nun die nächste Eskalationsstufe gezündet: die öffentliche Verbrennung einer Geisel. Dass dies in westlichen, immer noch rudimentär christlich geprägten, Gesellschaften Assoziationen an die inquisitorische Praxis des Autodafé – der öffentlichen Verbrennung von Andersgläubigen – auslöst, war den Regisseuren dieses Mordes bewusst.
Maas al-Kassasbeh wurde bei lebendigem Leibe verbrannt, um größtmögliche Schockwirkung zu erreichen. Die IS-Propagandisten wissen genau, dass sie damit in der heutigen globalen Medienökonomie, in der Sensationsgier und Empathie mit Kreaturen gleichstarke Antriebskräfte sind, einen maximalen Verbreitungserfolg erzielen. Ähnlich große Emotionen wie Bilder von der öffentlichen Verbrennung von Andersgläubigen lösen heute in sozialen Netzwerken nur noch Videos von versehentlich beerdigten Katzen aus.
Dilemma im Umgang mit den Bildern

Mit ihrem Wissen um die Funktionsmechanismen der medialen Öffentlichkeit stellen Terrororganisationen wie der IS Medienbetriebe (wie diesen) vor ein unlösbares Dilemma: Entweder man zeigt die von dem IS produzierten Bilder ihrer Mordtaten und macht sich damit zum Multiplikator einer Ideologie, deren Anziehungskraft auf videospielgestählte Dschihad-Aspiranten auch deshalb so groß ist, weil sie diesen auf der nächsten Stufe immer noch etwas enthemmtere Gewalt verspricht. Aufgrund dieser Logik muss die nächste IS-Gewalttat stets etwas grausamer sein als die vorangegangene. Oder man zeigt die Bilder nicht – und verschärft die Nachfrage durch Entzug.
Als journalistisches Medium entkommt man dieser Dynamik nicht. Man trägt zum Publikums-Erfolg des IS ebenso bei, wenn man die Bilder zeigt oder über die Taten auch nur berichtet. Selbst wenn man die Verbrechen fassungslos und empört als barbarisch bezeichnet, hat man das vom IS aufgezwungene Spiel bereits mitgespielt, beschleunigt man nolens volens die weitere Verbreitung eines Gewalt-Pornos, bei dem die Islamisten Regie führen.
Die Bilder nicht zu zeigen oder die Taten diskreter zu verhandeln, funktioniert als Abwehrstrategie in unserer Aufmerksamkeitsökonomie jedoch ebenso wenig. Bestenfalls würde daraus ein Beleg für die notorische Unzuverlässigkeit von Mainstream-Medien. Die Verweigerung über Unmenschliches zu berichten, erhöht nur das Interesse am Unmenschlichen. Zumal die Bilder dieser Taten auf Twitter ohnehin zu finden sind. Der IS spielt ein grausames Spiel mit unseren niedrigsten Instinkten, auf das wir bislang keine Antwort haben.

http://www.welt.de/politik/ausland/a...ors_picks=true